Gedruckt wie gesprungen

Der schwedische Boulevard wird immer schonungsloser. Das bekam auch Leichtathletik-Star Carolina Klüft zu spüren. Sie hat nun sogar ihrem Sponsor, dem Massenblatt „Expressen“, gekündigt

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Ihre Goldmedaille im Siebenkampf der Frauen konnte sie dann trotzdem wieder verteidigen. Carolina Klüft, Schwedens derzeit international bekannteste Leichtathletin, schaffte es bei der gestern zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft in Helsinki wieder aufs höchste Siegerpodest. Obwohl nicht nur erst ein Knie und dann ein Knöchel nicht mitspielen wollte, sondern es ernsthafte Befürchtungen gab, dass „Carro“, wie sie in Schweden nur liebevoll abgekürzt wird, ihr bekannt unbeschwerter Auftritt durch ganz andere Verletzungen verhagelt werden könnte. Die Boulevardpresse hat nämlich entdeckt, dass Klüft-Schlagzeilen im Zweifel immer für eine sichere Auflage gut sind.

Schwedens Boulevardzeitungen bilden sich einiges darauf ein, in einer qualitativ höheren Klasse zu spielen als beispielsweise eine Bild-Zeitung oder gar die britischen Schwestern. Und sie liegen mit dieser Selbsteinschätzung im Großen und Ganzen auch richtig. Doch das Klima auf dem Medienmarkt ist härter geworden. Expressen, der seine jahrzehntelange Auflagenführerschaft vor einigen Jahren an die Konkurrenz Aftonbladet verloren hat, möchte die Kräfteverhältnisse gerne wieder umdrehen. Und dieser Konkurrenzkampf wird mit harten Bandagen ausgetragen. Als sich im Frühjahr in Klüfts Heimatstadt Växjö eine spektakuläre bewaffnete Befreiung eines Patienten aus einer psychiatrischen Klinik ereignete, titelte Expressen mit einem grob gerasterten Foto, auf dem man Carro als die Ausbruchshelferin zu erkennen glauben konnte. Zumal auch ein deutlicher Textbezug zu der Spitzensportlerin hergestellt wurde. Tatsächlich hatte es sich aber um eine Frau gehandelt, die ein paarmal in der gleichen Gruppe wie Klüft im heimatlichen Sportverein trainiert hatte.

Nun ist Expressen ausgerechnet seit einem Jahr einer der fünf Hauptsponsoren des schwedischen Leichtathletikverbands, und alle SportlerInnen müssen sein Logo am Trainingsanzug tragen. Mit welcher Begeisterung dies Carolina Klüft seit diesem Schlammtreffer tat, wurde spätestens eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaften klar. Da erlaubte der Verband es ihr nämlich, das Expressen-Logo von ihrer offiziellen Mannschaftskleidung abzutrennen. Und ihrem Freund, dem ebenfalls zur schwedischen WM-Mannschaft gehörenden Stabhochspringer Patrik Kristiansson, sowie den Trainern der beiden wurde der gleiche Verstoß gegen das Sponsorabkommen genehmigt.

Klüft und Kristiansson fühlten sich nämlich von Expressen endgültig so schlecht behandelt, dass sie für diese Zeitung trotz millionenschweren Vertrags nicht mehr Reklame laufen und springen wollten. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte ein Kommentar des immer scharfzüngigen Sportkolumnisten Mats Olsson, der Klüfts aktuelle Gesundheitsprobleme weniger bei ihrem Knie, als in ihrer privaten Beziehung entdeckt zu haben glaubte: „Carolina Klüfts schwerster Verletzungsschaden heißt Patrik Kristiansson.“ Eine unbegründete persönliche Beleidigung, mit der die Grenze des Zumutbaren überschritten sei, meinte Lennart Karlberg, Generalsekretär des Leichtathletikverbands, und segnete die Verletzung des Sponsorvertrags durch Klüft & Co ab: „Die beiden sind öffentliche Personen und müssen deshalb allerhand wegstecken. Aber es gibt Grenzen.“

Neben viel Verständnis für Carro warfen Medienkommentare vor allem die Frage auf, ob der Verband im Bemühen, seinen Star nicht zu kränken, nicht einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen habe. Und sich darüber hinaus mit indirekter Medienzensur versuche. Wenn eigentlich allenfalls die Frage strafrechtlicher Reaktion etwa über eine Beleidigungs- oder Verleumdungsanzeige der ehrlichere Weg gewesen wäre. Dass der Verband nach diesem seinem Schritt auch noch eingestand, man habe mit Expressen schon seit dem Frühjahr eine „laufende Debatte“ zum Thema der Klüft- und Kristiansson-Veröffentlichungen geführt, schien diesen Vorwurf versuchter Zensur eher noch berechtigter erscheinen zu lassen. Dementi-resistente Gerüchte wollen auch wissen, dass Psychologiestudentin Klüft bereits damals ein Ultimatum gestellt haben soll: Mit einem Sponsor auf der Jacke, der sich ihr gegenüber so verhalte, könne der Verband von ihr keinen klaren Kopf für Höchstleistungen erwarten.

Mit der individuellen Ausfallregelung, auf die sich der Leichtathletikverband mit Expressen zunächst einigen zu können glaubte, wurde es nichts. Die Zeitung nahm den formalen Bruch des Sponsorabkommens durch den Sportverband zum Anlass, den gesamten Vertrag fristlos zu kündigen. Expressen-Chefredakteur Otto Sjöberg: „Wenn wir einen Verband sponsern, kann das nicht beinhalten, dass dessen Stars und Funktionäre versuchen, unsere redaktionelle Arbeit zu beeinflussen.“ Es stehe den JournalistInnen der Zeitung frei, „zu loben, zu kritisieren, zu provozieren, denn das ist ihr Job“.

Für die Zukunft glaubt Verbandsgeneralsekretär Karlberg nicht mehr an Boulevardzeitungen als geeignete Partner der Zusammenarbeit. Medien insgesamt als Sponsoren will er jedoch nicht grundsätzlich ausschließen. Aber man müsse vielleicht über eine Art umgekehrte Dopingklausel nachdenken. So wie Sponsoren bei Dopingfällen aus den Verträgen aussteigen könnten, also eine Medienkränkungsklausel, die eine Vertragskündigung ohne finanzielle Auswirkungen für den Verband ermögliche, wenn die Ethikkommission – eine Art Selbstkontrolle der schwedischen Presse – in Veröffentlichungen des Sponsors über den Gesponserten einen Verstoß gegen ihre presseethischen Richtlinien bejahe.