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: „Aids änderte die sexuelle Praxis zutiefst“

Lesung: „Fortwährende Eingriffe“ – Wie Aids unser Leben verändert hat“ mit Martin Dannecker: 20 Uhr, im Integrations- und Familienzentrum (IFZ) Rostocker Straße 7

Interview Julika Kott

taz: Herr Dannecker, wie hat die Angst vor Aids die schwule Sexualität geprägt?

Martin Dannecker: Sie hat sie in einen Unsicherheitszustand versetzt. Als die Aids-Krise ihren Höhepunkt erreichte, von Mitte der 80er bis Mitte der 90er, begriff man, dass die Angst vor Aids durch präventive Maßnahmen wie das Safer-Sex-Programm nicht einzudämmen ist. Aids änderte die sexuelle Praxis zutiefst. Es entwickelte sich ebenfalls eine Leibfeindlichkeit, eine Distanzierung von „den anderen“. Jeder wurde ganz unbewusst unter den Verdacht gestellt, Träger dieses schrecklichen Virus zu sein.

Und wie veränderte sich dadurch der Diskurs über Homosexualität?

Das ist ziemlich dialektisch zugegangen: In den Zeiten einer massiven Anti-Homosexualität entwickelte sich zeitgleich ein Gegendiskurs. Also: Homosexualität wurde im Zusammenhang mit Aids immer wieder auch positiv thematisiert und dieser Diskurs über Aids und HIV trieb, in einer paradoxen Entwicklung, auch die Integration der Schwulen in die Gesellschaft voran.

Ist Aids politisch?

Zutiefst: Aids hieß ja ursprünglich „Gay Related Immune Deficiency“ und war damit im Moment des Auftretens ein Politikum per se, weil die Krankheit einer Gruppe zugeschrieben wurde. Beim Nachdenken über Aids kann man deshalb zwischen der Krankheit als solcher, und zwischen der Metaphorisierung, der politischen Instrumentalisierung und den Phantasmagorien, klar unterscheiden. Aids ist alles zugleich.

Funktioniert die HIV-Prävention, wie sie sollte?

Foto: Doris Belmont

Martin Dannecker,76, Sexualwissenschaftler, setzte sich früh mit dem Diskurs über HIV und Aids und der Prävention auseinander.

Ich finde, dass die HIV-Prävention relativ gut funktioniert. Aber man sollte sich nichts vormachen: Neue Infektionen kann man nicht ausschließen, weil man mit der Sexualität im Endeffekt nicht so rational umgehen kann, wie es sich viele wünschen. Ein sehr wichtiger Moment war die Einführung der PrEP, einer medikamentösen Prävention gegen HIV-Übertragung. Damit werden neue Infektionen abnehmen, da bin ich mir ziemlich sicher.

Was kritisieren Sie am Umgang mit Aids?

Zum einen die Vorstellung, sich in jeder Situation nach den Erfordernissen der Prävention verhalten zu können. Diejenigen, die das nicht konnten, wurden in einem sehr hohen Maße stigmatisiert. Zum anderen auch die fehlende Reflexion über das Leiden der Betroffen, sowohl an der Krankheit als auch an ihrer Stigmatisierung.