Der Montagsmaler

JUBILÄUM Kommende Woche feiert der Charlottenburger Jazzclub A-Trane 20. Geburtstag und mit ihm der Pianist Andreas Schmidt, der wöchentlich wechselnde Gastmusiker einlädt, um mit ihnen frei zu improvisieren

Das A-Trane ist die Keimzelle einer Szene, deren Protagonisten ihr Ding kompromisslos durchziehen

VON FAN-ZHAO JACOBS

Er muss ständig seine Fingernägel schneiden. „Wenn sie nur ein bisschen zu lang sind, rutsche ich weg.“ Andreas Schmidt versucht seine Hände zu verstecken. Man sieht trotzdem sofort: Die Fingernägel sind extrem kurz und gepflegt. Ich treffe ihn in seinem Übungsraum. Außer einem Steinway-Flügel, einem Wandregal voller Kompositionsbücher und einer Couch zum Lesen, ist er leer. Die weißen Wände deuten auf eine gewisse Strenge. „Ich brauche keine Dekoration“, sagt der Musiker.

Andreas Schmidt gehört zu einer in Berlin seltenen Spezies: Er ist Jazzpianist. Geboren und aufgewachsen ist der 45-Jährige im West-Stadtteil Heiligensee. „Ich habe mit Akkordeon angefangen und ein bisschen Orgel gespielt“. Ein Klavier war damals zu teuer, „bis ich 1977 mit meinem Vater in einer Garage ein altes schwarzes Klavier entdeckte. Das hat 1.000 D-Mark gekostet. Anstatt nach Noten zu spielen, habe ich meist darauf improvisiert.“

Folgenreiche Begegnung

Als Teenager nahm er dann Klavierunterricht, weil er in einer Zeitung eine Anzeige von Aki Takase entdeckte. Nicht ahnend, dass seine Klavierlehrerin eine berühmte japanische Jazzmusikerin ist. Wie ihr Lebensgefährte Alexander von Schlippenbach fühlt sich auch Takase der Freejazzszene zugehörig, die in den Siebzigern durch das Label FMP weit über Berlin hinaus bekannt wurde. Takases Stil beeinflusst Schmidt in seiner Spielweise bis heute. Auch eine andere Begegnung sollte Folgen haben: Während seiner Zeit am Konservatorium traf Schmidt 1993 zufällig den amerikanischen Saxofonisten Lee Konitz. „Er steht neben mir in einem Club und sagt, er würde gerne zu einem anderen Konzert gehen.“ Also nahm sich Schmidt seiner an. Später erzählte Konitz seinem fremden Begleiter, dass er eine Woche frei habe. Schmidt ludt ihn kurzerhand zu sich nach Hause. „Konitz kam tatsächlich“, worüber sich der Gastgeber immer noch wundert. Aus der Einladung wurden eine Woche spontanes ausgiebiges Jammen. Die beiden Musiker verstanden sich derart blendend, dass sie 1994 zusammen Aufnahmen machten, die in dem Album „Haiku“ mündeten. Schmidt hat dafür die Musik geschrieben.

Schmidt raucht nicht, trinkt weder Alkohol noch Kaffee. Ein klarer Kopf sei wichtig, mit einer eigenen Simme zu musizieren, Jazz zu machen, rein nach seinen eigenen Vorstellungen. Und er hat sich damit eine kleine Fangemeinde erspielt. Seit 17 Jahren spielt er jeden Montag im Charlottenburger Club A-Trane unter dem Motto „Andreas & Friends“. Das A-Trane gehört zu den renommiertesten Jazz-Clubs der Stadt und prägt die lokale Jazzszene seit nun 20 Jahren.

Gegründet wurde es im September 1992 vom Saxofonisten Ralf Rudolf, seit 1997 wird das A-Trane von Sedal Sardan geführt, einem ehemaligen Basketball-Spieler und Jazzliebhaber. Er sagt über Schmidt: „Der gehörte schon zum Inventar, als ich in den Club kam. Andreas ist und bleibt ein kreativer Kopf. Einer, der nie stehen bleibt. Er lädt ein, spielt mit, probiert aus. Und er hat mich dadurch davon überzeugt, wie schön unvorhergesehen ein Montag sein kann.“

Montags ist das A-Trane meist voll. Im Publikum sind viele junge Leute zwischen 20 und 30. Touristen, die Jazz live in Berlin erleben wollen und Einheimische, die sich für Jazz interessieren.

Im hinteren Eck des Clubs steht die kleine dreieckige Bühne. Ein Flügel spiegelt sich im hellen Bühnenlicht, in der Mitte glänzt ein Schlagzeug und dazwischen liegt ein Kontrabass auf dem Boden. Hinter der Bühne auf dem Vorhang steht der Schriftzug „A-Trane“. Neben der Bühne an der Wand ist eine kleine Tafel angebracht, die von einem Vorhang zugedeckt ist. Kurz vor 22 Uhr wird er gelüftet und dann steht zu lesen, wer jeweils mit Andreas Schmidt spielen wird. Diesmal ist der Saxofonist Otto Hirte im A-Trane zu Gast. Das Publikum klatscht.

Nach kurzer Begrüßung, stellt der Pianist seine Gäste vor. Er schnippt mit den Fingern, zählt kurz ein und leitet ein mit „All the things you are“, einem Standard, zu dem die Musiker frei improvisieren.

Schmidt bewegt sich filigran mit dem Rhythmus. Seine Finger fliegen über die Tasten des Flügels. Mit den anderen Musikern kommuniziert er nur durch Augenkontakt, sie lächeln vielsagend.

Am Ende des Abends wird Otto Hirte sagen „es macht enorm Spaß, mit Andreas zusammen zu spielen, weil er ein spezieller Typ ist. Introvertiert. Immer mit eigenwilligen Ideen. Er macht kunstvolle Unterhaltungsmusik, ruhig, aber trotzdem äußerst energetisch.“

Andreas Schmidt spielt nicht nur verschiedene Musikinstrumente, er nutzt auch nichtmusikalische Elemente als Klangerzeuger. Er schüttelt ein Blatt Papier, klopft auf den Flügel oder zupft direkt die Klaviersaiten im Bauch des Instruments.

Das passt perfekt zu dem seltsamen Status von Jazz in Berlin. Nach dem Mauerfall sind viele Musiker nach Berlin gezogen. Jeder blieb für sich. Aber erst in den letzten zehn Jahren entwickelte sich so etwas wie eine neue Szene mit eigenen Maßstäben. Die Musiker operieren nach dem Motto, „Ich spiele meinen Jazz, egal ob ihn jemand toll findet oder nicht.“ Am Montag nach Mitternacht sind die Zuschauer jedenfalls begeistert.

Vor dem A-Trane nimmt der Bassist Jan Roder einen letzten Zug von seiner Zigarette, das Konzert ist zu Ende. „Mit Andreas Schmidt spiele ich schon seit 1995 zusammen“, sagt er. „Und kein Auftritt ist so wie der vorherige.“

■ A-Trane, Pestalozzistr/Bleibtreustr in Charlottenburg. Jubiläumskonzert. 11. September mit Till Brönner. Andreas Schmidt spielt jeden Montag, Eintritt frei