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Tote im Taubenschlag

Die katholische Kirche St. Elisabeth wird zur Urnengrabstätte – Gottesdienst und Totenruhe finden dann im gleichen Raum statt. Damit reagiert die Gemeinde auf die Krise

Von Elisabeth Nöfer

Draußen klettern die Temperaturen, drinnen im leeren Innenraum der katholischen Kirche St. Elisabeth in Hastedt ist es angenehm kühl. Eine von drei schwärzlich gefärbten Lehmwänden der neuen Urnengrabstätte steht bereits. Zur geplanten Eröffnung im März sollen in dieser Wand 540 Urnen Platz finden, insgesamt wird in Bremens erstem „Kolumbarium“ Platz geschaffen für 1.213 Bestattungsplätze.

„Kolumbarium“ ist die altrömische Bezeichnung für unterirdische Grabkammern. Weil deren Öffnungen den Fächern eines Taubenschlages ähneln, leitet sich der Begriff vom lateinischen Wort für Taube, „columba“, ab. Trotz der altehrwürdigen Bezeichnung ist der Bau des Kolumbariums das Symptom für ein aktuelles Problem: Die Urnenwände werden in den Raum gebaut, um die Kirche vor der Schließung zu bewahren.

„Mit dem Kolumbarium wollen wir den Standort lebendig halten“, sagt Pfarrer Dirk Meyer. Immer weniger Menschen gehen in die Kirche. Die Hoffnung ist, dass mehr Menschen in den Gottesdienst kommen, wenn sie die Grabstätten ihrer Angehörigen besuchen. Auf einem Touchscreen am Eingang können BesucherInnen in Zukunft die Nische ihrer Verstorbenen suchen. Die Zahl der aktiven Gläubigen sinkt rapide: „Früher waren wir voll“, sagt Werner Kalle aus dem Kirchenvorstand St. Elisabeth, der hier seit 68 Jahren zur Messe geht. Laut Zählungen der Gemeinde sind es rund ein Drittel weniger BesucherInnen als noch vor zehn Jahren. Ein ähnliches Bild zeigt die Statistik für das gesamte Bistum Osnabrück.

Während in den letzten Jahren in Gröpelingen, Hemelingen und Findorff mehrere Kirchen geschlossen werden mussten, war die Urnengrabstätte für die Hastedter Gemeinde die rettende Idee. Nach dem Umbau gibt es in der Kirche weniger Sitzplätze, aber es können weiter Gottesdienste gefeiert werden. Die Grabmiete refinanziert den Bau der drei Urnenkapellen. „Die Gemeinde hätte sonst nicht das Geld, die Kosten für die Sanierung selbst zu tragen“, sagt Meyer. Die Kirche wurde 1969 gebaut, der Umbau beschert ihr auch eine neue Deckenbeleuchtung. 1,6 Millionen Euro kostet das insgesamt. Die zusätzlich zum Kolumbarium anfallenden Kosten zahlen der katholische Gemeindeverband in Bremen und das Bischöfliche Generalvikariat in Osnabrück, weil der Bremer Verband zum Bistum Osnabrück gehört.

Als Material für Wände und Boden schlug Architekt Jürgen Hinse Lehm vor, den eine Firma aus Österreich verarbeitet. Das Material sei ökologisch und auch symbolisch passend, sagt Hirse. Lehmbau verbraucht wenig Energie und ist schadstofffrei. Schon biblische Dörfer wie „Kafarnaum“ wurden so aus dem Boden gestampft, nach denen die Urnenwände benannt sind. Die Bezeichnung zeige den Eingang der Toten in das „himmlische Jerusalem“ an, so der Pfarrer. Die Nischen werden mit Messingplatten verschlossen, auf denen der Name der Verstorbenen eingraviert wird.

Das Kolumbarium soll den Standort lebendig halten, sagt der Pfarrer

Die Gemeinde öffnet sich mit ihrem Umbau für Begräbnisse von nicht-christlichen und nicht-konfessionellen Menschen. Sehr offen seien seine Gläubigen dafür, sagt Meyer. Interkonfessionelle oder interreligiöse Familien sind eine Realität, der sich die Katholiken nicht verweigern wollen. „Alle sollen die Möglichkeit haben, den Ort aufzusuchen“, so Meyer. Nur die Bestattungsfeier müsse in christlicher Form abgehalten werden. Freie BestattungsrednerInnen sind nicht gern gesehen.

Kirchenvorstandsmitglied Werner Kalle hat sich schon für so ein Urnengrab entschieden. Mit seiner Frau will er nach seinem Tod eine Doppelkammer in „Bethlehem“ beziehen, „da bleiben wir schön zusammen“. Vor allem will er seine Tochter von der Grabpflege befreien, „damit die nicht immer gießen muss“. Nach 20 Jahren Ruhezeit, soweit sie nicht verlängert wird, kommt die Asche von Kalle dann in ein Sammelgrab an der Stirnseite der Kirche. Wie Kalle wollen viele Menschen mit einem Urnengrab ihre Angehörigen entlasten, die zunehmend nicht mehr am selben Ort wohnen. Zudem sind Urnengräber günstiger, auch wenn die Preise hier noch nicht feststehen.

Nicht alle Gemeindemitglieder waren von der Idee begeistert, in der Kirche Platz für die Toten zu machen – und seine potenzielle letzte Ruhestätte vor Augen zu haben. Besonders die jungen Familien hätten sich mit dem Gedanken schwer getan, erzählt der Pfarrer. Er hingegen findet, dass durch die Verbindung von Gräbern und Gottesdienst eine „Leichtigkeit“ im Umgang mit dem Tod entstehe, der eben häufig außerhalb der Sichtbarkeit stattfände.

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