die woche in berlin
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Die Sozialsenatorin Elke Breitenbach stellt neue Leitlinien für die Wohnungs­losen­politik vor. Eine hochschwangere Geflüchtete braucht einen Krankenwagen, Sicherheitsleute rufen aber keinen. Das Hausprojekt in der Liebigstraße 34 wird von der Polizei durchsucht.

Seltene Glücksgefühle kommen auf

Neue Leitlinien für die Wohnungslosenpolitik

Nun sind die Ergebnisse also da. Im Januar 2018 hat Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) alle, die irgendwie mit dem Thema Wohnungslosigkeit zu tun haben, zu einer Strategiekonferenz geladen. Neun Arbeitsgruppen und eine zweite Strategiekonferenz später legte sie dem Senat am Dienstag die neuen Leitlinien für die Wohnungslosenpolitik vor. Wenn es bei dem bleibt, was Breitenbach von dem Entwurf öffentlich gemacht hat, dann kann man sagen: Berlin kommt in Sachen Wohnungslosenpolitik einen Riesenschritt weiter.

Die bisherigen Leitlinien zu übertreffen war aber nicht so schwer. Sie stammen aus dem Jahr 1999. Sowohl die Realität als auch rechtliche Vorgaben haben sich seitdem verändert. In dem Papier stehen aber tatsächlich viele Dinge, die echte Neuerungen im Sinne der Wohnungs- und Obdachlosen wären.

Beispiel Mietschulden: Für die Übernahme sind die Jobcenter zuständig, die das unterschiedlich handhaben, ebenso wie die Sozialen Wohnhilfen der Bezirke. Sicherlich nicht wenige BerlinerInnen sind allein wegen schlechter Absprachen aus ihrer Wohnung geflogen. Hier soll es berlinweite Vorgaben und Kontrollen geben. Fachstellen in allen Bezirken sollen darauf achten, dass Menschen gar nicht erst wohnungslos werden.

Und es gibt noch viel mehr Pläne: So soll die Kältehilfe ihre Arbeit nicht nur im Winter, sondern ganzjährig koordinieren können. Breitenbach will dauerhaft eine Krankenwohnung anbieten. Es soll auch mehr Notunterkünfte für Frauen und Familien geben – sowie mehr Trägerwohnungen generell. Im Januar will die Sozialverwaltung die Obdachlosen auf der Straße zählen lassen, damit gäbe es erstmals ungefähre Zahlen – und eine Grundlage für die Diskussion.

Angesichts dieser Ankündigungen wundert es nicht, dass VertreterInnen aus der Wohnungslosenhilfe euphorisch reagieren. Robert Veltmann vom sozialen Träger Gebewo, seit vielen Jahren in dem Bereich tätig, bezeichnet die Leitlinien als „großartig“. Beim Lesen des Entwurfs habe er regelrechte „Glücksgefühle“ gehabt. Und auch Kai-Gerrit Venske, Fachreferent für Wohnungslosenhilfe bei der Caritas, nennt die Leitlinien „einen Riesenschritt“ hin zu einer nachhaltigen Politik.

Bei all der Zustimmung gibt es jedoch auch Kritik: Venske zufolge sind zentrale Fragen im Umgang mit wohnungslosen EU-BürgerInnen nach wie vor ungelöst. Robert Veltmann vermisst konkrete Ziele – beispielsweise eine Festlegung, dass 90 Prozent der von einem Wohnungsverlust bedrohten Menschen eine aufsuchende Beratung bekommen sollen. Solche Vorgaben fehlten in dem Papier.

Die Begeisterung überwiegt aber klar. Ob sie anhält, hängt nun von Elke Breitenbach ab: Sie muss die geplanten Maßnahmen auch umsetzen. Viele kosten Geld. Wie ernst es Rot-Rot-Grün mit der neuen Wohnungslosenpolitik wirklich ist, wird sich bald zeigen: Ab August berät das Abgeordnetenhaus über den Doppelhaushalt 2020/2021. Antje Lang-Lendorff

Klare Regeln helfen allen Beteiligten

Skandal um Sicherheitsdienst in Flüchtlingsunterkunft

Eine junge Frau, im neunten Monat schwanger, klagt über starke Schmerzen und hat plötzlich Blutungen. Ihr Mann und sie sind erst vor wenigen Monaten nach Berlin gekommen, sie wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Ein eigenes Handy haben sie nicht. Also bittet der Mann die beiden Sicherheitsmänner, einen Krankenwagen zu verständigen. Doch die Männer schlagen die Bitte aus. Das Paar muss zu Fuß und mit der Straßenbahn ins Krankenhaus. Dort hat die Frau eine Fehlgeburt.

Der in dieser Woche öffentlich gewordene Fall aus Berlin machte bundesweit Schlagzeilen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft: Unterlassene Hilfeleistung kommt als Straftatbestand infrage, aber auch fahrlässige Tötung. Auch ein medizinisches Gutachten soll für Aufklärung sorgen.

Bisher unklar: Handelte es sich um ein ausschließlich individuelles Fehlverhalten der beiden Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes? Oder liegt ein strukturelles Problem dahinter, etwa, weil die Weisungen für solche Fälle nicht klar genug seien, wie der Flüchtlingsrat kritisiert? Oder weil sich Angestellte in Flüchtlingsunterkünften gegenüber ihren Vorgesetzten für Notrufe rechtfertigen müssen, wie mehrere ehemalige Mitarbeiter unterschiedlicher Unterkünfte der taz berichtet haben?

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten wies nach Bekanntwerden des Vorfalls jede Verantwortung von sich und verwies an den Betreiber, die Arbeiterwohlfahrt. Die AWO wiederum, die ebenso wie das betroffene Heim in der Lichtenberger Rhinstraße einen vergleichsweise guten Ruf genießt, verweist auf den outgesourcten Sicherheitsdienst und gibt an, die beiden Mitarbeiter hätten klar gegen interne Richtlinien verstoßen, nach denen für besonders schutzbedürftige Menschen, also auch Schwangere, in jedem Fall ein Rettungswagen zu rufen sei.

Doch selbst wenn es hier um individuelles Fehlverhalten geht – es bleibt unverständlich, warum nicht eindeutig und für alle Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften die Anweisung gilt: Verlangt ein Bewohner nach einem Krankenwagen, wird dem nachgekommen. Es mag sein, dass dann der ein oder andere überflüssige Notarzteinsatz ausgelöst wird – so wie in der Welt jenseits von Flüchtlingsunterkünften auch. Und natürlich ist es wichtig, die Bewohner auch über andere Möglichkeiten der ärztlichen Versorgung aufzuklären. Aber eine unmissverständliche Anweisung ist die einzige Möglichkeit zu vermeiden, dass nicht geschulte Mitarbeiter Entscheidungen über medizinische Notfälle treffen müssen.

Malene Gürgen

Schauspiel der Irren von der Rigaer Straße

Im Konflikt um die Liebig34 drehen mal wieder alle durch

Linksradikale, Immobilienspekulanten, Polizei, CDU und (Springer-)Presse – die ProtagonistInnen dieses nie langweiligen Theaterstücks sind wieder auf der Bühne und auch der Ort der jüngsten Aufführung ist ein altbekannter: die Liebigstraße 34. Das linksradikale, queerfeministische Hausprojekt an der Ecke zur Rigaer Straße fiebert seinem Räumungsprozess am 20. September entgegen. Berlins Immobilienmogul Padovicz will aus dem Haus endlich den Maximalprofit pressen und daher die Linken loswerden – die reagieren darauf zunehmend nervös.

Wiederholt flogen in den vergangen Wochen Steine und Farbbeutel auf Polizeifahrzeuge. Aus den Stellungnahmen und Bekenntnissen der Autonomen lässt sich nihilistische Wut herauslesen – die Selbstwahrnehmung als Trutzburg in der „Stadt der Reichen“ –, aber auch die Verzweiflung darüber, dass wohl keine Lösung in Sicht ist, die ihnen ihr Zuhause erhält.

Auf die Angriffe reagierten die Polizisten am vergangenen Samstag mit einer Razzia im Haus. Dabei agierten sie nicht unbedingt als Werbeträger des korrekt agierenden demokratischen Rechtsstaates. Sie sollen Internetkabel durchschnitten, Netzwerktechnik entwendet, die Eingangstür zersägt und Privaträume durchsucht haben, für die es keinen Durchsuchungsbeschluss gab. Die Polizei bestreitet all dies, aber schon in der Vergangenheit, etwa bei einer Razzia in der Rigaer Straße 94, hatten sich Polizisten ausgetobt, Scherben in Betten verteilt oder eine Treppe zerkloppt. Dieses Mal wurden zudem massenweise DNA-Spuren gesammelt – eine Praxis, die rechtsstaatlich höchst fragwürdig ist.

Polizei-Gewerkschafter Benjamin Jendro ist da weniger kritisch und spricht von „Terrorismus“, womit er allen Ernstes die Rigaer Straße und nicht die Serie von Morden und Mordversuchen durch Rechtsextreme meint. Dass ein Polizist vor einiger Zeit Drohbriefe an Bewohner der Rigaer Straße geschickt hatte, deren Daten er aus dem Polizeisystem gefischt hatte, gehört mit zu dieser schwierigen „Bearbeitung“ des Friedrichshainer Nordkiezes durch die Polizei.

In der B.Z., aber auch im Tagesspiegel wurde derweil zuletzt eine Weisung von Berlins Polizeipräsidentin Babara Slowik zum „Entscheidungsvorbehalt der Behördenleitung zum gewaltsamen Eindringen in linke Szeneobjekte“ zu einer „Kapitulation vor Linksextremisten“ verklärt, die es Polizisten verunmögliche, auf Gewalt zu reagieren. Wie die Razzia am Samstag zeigte, ist das Gegenteil richtig: Die Polizei kann jederzeit agieren, die Klärung, wer vor Razzien zu kontaktieren ist, verschafft ihnen Rechtssicherheit. Dass Medien die Zurückhaltung des Senats kritisieren, spricht nicht für ihre Analysekompetenz, sondern zeigt Sensationsgeilheit.

Und wo alle Irren ihre Rollen spielen, ist die CDU nicht weit. Deren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus forderte allen Ernstes, der Senat solle die Liebig34 kaufen, abreißen und das Gelände brachliegen lassen, bis sich die linke Szene aufgelöst habe. Großer Lacher. Vorhang zu. Fortsetzung folgt. Erik Peter

Dass Medien die Zurück-­haltung des Senats kritisieren, spricht nicht für Analyse-­kompetenz, sondern zeigt Sensations-­geilheit

Erik Peter über die Razzia in der Liebigstraße 34