inklusion im sport (III)
: Traumtor nach Gehör

Tennis im Dunkeln, Eishockey im Sitzen, Tanzen ohne Beine: Ein Handicap hindert Athlet*innen nicht, Leistung zu bringen. Hürden gibt es oft nur in den Köpfen. Wir stellen im Sommer Sportler*innen aus dem Norden vor

Abb.: shutterstock.com

Serdal Celebi ist ein lockerer Typ. Der 35-Jährige lacht viel, spielt in seiner Freizeit Fußball beim FC St. Pauli und ist zumeist im Shirt seines Vereins unterwegs. Jedes zweite Wochenende ist er im Millerntor-Stadion zu Gast bei den Spielen der Profis. Doch Celebi hat noch kein einziges Tor des Clubs gesehen: Er ist blind. Trotz des enormen Handicaps hat der ausgebildete Physiotherapeut etwas geschafft, was vor ihm erst vier St.-Pauli-Spielern gelungen ist: ein Tor des Monats zu erzielen.

Die Geschichte von Serdal Celebis Begeisterung für den Sport beginnt in den kurdisch geprägten Gebieten im Osten der Türkei. Jeden Tag kickt der kleine Serdal in seinem Dorf auf einem rauen Sandplatz. Mit sieben Jahren erlebt er den Krieg in seiner Heimat, Bomben fallen, die Familie muss fliehen.

Schlimmer noch ist für den Jungen ein persönliches Drama: Er leidet unter einer Netzhautablösung. Die Folge ist ein langsames Erblinden. Die Familie zieht nach Deutschland, erhofft sich in Hamburg eine bessere medizinische Versorgung. Doch nichts hilft, mit 13 Jahren ist Celebi komplett blind.

„Ich musste alles neu lernen“, erinnert er sich. „Ich habe mich geschämt, mir war es peinlich, rauszugehen. Als ich dann gelernt hatte, mit dem Blindenstock umzugehen, habe ich mir gesagt: Egal, was die Leute über dich denken – geh raus, Serdi!“

Celebi versucht sich bald an Blindensportarten wie Goalball, aber von seinem Lieblingssport kommt er nicht los: „Ohne Fußball ist das Leben langweilig!“ So kommt er zum Blindenfußball beim FC St. Pauli. Ein Spiel vier gegen vier, mit Kopfschutz, Banden und sehenden Torhütern, auf Hockey-Tore. Torwart, Hintertor-Guide und Mittel-Guide dürfen Anweisungen geben, im Ball ist eine Rassel.

Der ehrgeizige Celebi, der von sich selbst sagt: „Auf dem Platz bin ich wie kochendes Wasser“, hat Erfolg. Er wird Meister in der Blindenfußball-Liga und deutscher Nationalspieler. Parallel arbeitet er als Physiotherapeut in Hamburg. Doch bei der Nationalmannschaft bleibt der Fußballer nur ein Jahr, weil die Lehrgänge und Auslandsreisen dort nicht bezahlt werden. „Du musst viel mehr trainieren, aber auch gleichzeitig in einem anderen Job Geld verdienen. Man kann man nicht mit 100 Prozent beim Sport sein, wenn man dazu noch seine Familie ernähren muss.“

Es ist nun beinahe ein Jahr her, seit Serdal Celebi Ende August 2018 den Treffer erzielte, der zum Tor des Monats gewählt wurde – das erste überhaupt eines Blindenfußballers. Bei der Wahl zum Tor des Jahres kam sein Schuss in den Winkel auf den dritten Platz. „Ich werde noch immer in der U-Bahn oder im Restaurant darauf angesprochen“, sagt Celebi. „Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Ich arbeite viel, mein Sohn lernt gerade zu laufen. Am meisten freut es mich, dass das Tor dem Behindertensport neue Aufmerksamkeit gebracht hat.“ Eine erneute Einladung des Nationalteams hat er ausgeschlagen.

Mit seiner kleinen Familie sucht Celebi seit einem Jahr eine bezahlbare Wohnung in Hamburg-Eimsbüttel – und ist dankbar für Hinweise. „Du wirst schon was Nettes schreiben“, sagt er zum Schluss. „Da vertraue ich dir blind.“ Typischer Celebi-Humor.

Jan Paersch