Suppe für die Frauenhelden

Neue Zusammenhänge und alte Widersprüche. Wie drei neue Lyrikbände aufs sprachliche Reduzieren setzen und gerade damit an die herrliche Komplexität von Gesellschaft, Natur und Liebe erinnern

Die Dinge der Welt und die Sprache als Sprache: Lyrik bringt sie zusammen Foto: Walker Hilary/Millennium/plainpicture

Von Carsten Otte

In politisch unruhigen Zeiten, so scheint die Geschichte zu lehren und die Gegenwart zu bestätigen, sehnen sich nicht wenige Menschen nach einfachen Lösungen, nach vermeintlich klaren Botschaften, selbst wenn sie den komplizierten Verhältnissen nicht gerecht werden. Auch in der Literatur gibt es eine Gattung, die vom sprachlichen Reduzieren lebt, allerdings mit völlig anderen Ergebnissen: Denn die künstlerisch anspruchsvolle Dichtkunst setzt aufs poetische Eindampfen, um neue Zusammenhänge oder alte Widersprüche sichtbar zu machen, um die Komplexität zu ergründen, sie sogar zu feiern. Gerade in der Lyrik, so könnte man also etwas pathetisch formulieren, ist auf diesem sprachlichen Weg eine Essenz des Humanen und wahre Schönheit zu finden. Drei aktuelle Gedichtbände bestätigen diese These.

Die 1985 in Wien geborene Debütantin Daniela Chana zum Beispiel hat mit „Sagt die Dame“ einen Band mit Liebespoesie vorgelegt, die alles andere als damenhaft ist, auf nahezu prosaische Weise kleine Szenen aus dem Alltag einfängt und gerade durch poetische Schmucklosigkeit die gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Sehr gut kann man dieses Verfahren in dem Gedicht „Ich koche dem Frauenhelden Suppe“ nachvollziehen, das schon in der Überschrift ein dezidiert weibliches lyrisches Ich auf eine Figur treffen lässt, die sprachlich wie gesellschaftlich aus einer anderen Zeit zu kommen scheint.

Dabei gibt es den Typus noch immer, auch wenn er sich selbst niemals „Frauenheld“ nennen würde: „Andere Frauen zieht er an der Hand / Ins Schlafzimmer und schmeißt ihnen nachher / Die Schuhe hinterher“. Doch die Zeiten, in denen die schlimmsten „Frauenhelden“ gar „Schürzenjäger“ hießen, haben sich geändert, was vielleicht weniger an den Männern, sondern vielmehr an den Frauen liegt, die neue Geschlechterrollen definieren, über die alten lachen und dabei auch mit den Hartgesottenen von einst glücklich sein können: „Bei mir klopft der Frauenheld schüchtern an / Ich setze ihn an den Küchentisch / Und stelle ihm eine Suppe hin / Die er artig wie ein Schulkind isst / Wir lachen den ganzen Abend.“

Daniela Chanas Gedichte erkunden mit wenigen Worten Liebesmomente und Trennungen im urbanen Umfeld. Ihre luftige Lyrik ist deshalb so bildstark, weil sie auf die unerhörte Schönheit des Schlichten setzt und gleichzeitig erstarrte Verhältnisse mit leiser Selbstironie in Bewegung bringt. Nach einem missglückten Kennenlernen, das unter dem Titel „Meine schlechtesten Dates“ in der für Chana so typischen Lakonie gewürdigt wird, hilft nur die groteske Anrufung: „Liebe Außerirdische, / Die ich schätze und respektiere / Könnt ihr endlich aufhören / Immer jeden Mann zu entführen / Der mit mir verabredet war?“

Während die junge Dichterin aus Wien mit Liebeslyrik begeistert, die sich vom Ballast der poe­tischen Tradition meist fernhält, animiert der mittlerweile auch als Romanschriftsteller erfolgreiche Dichtersenior Gerhard Falkner in seinem neuen Band „Schorfheide“ die Naturlyrik, in dem nicht nur die Schönheit der Wälder und Felder besungen werden, die historische Kulturlandschaft im nördlichen Brandenburg poetisch vermessen, sondern immer auch das Verhältnis des Dichters zum sprachlichen Stoff befragt wird: „Frisch geduscht und gegoogelt trete ich hinaus / ins Offene / die Dunkelheit des Morgens geht noch gegen / unendlich und die Gedanken folgen noch keiner / Ordnung, obwohl schon einige Vogelstimmen / einen Vorstoß wagen ins sichtbare Licht“.

Falkners „Gedichte en plein air“ sind eine Art lyrische Fortsetzung der klassischen Malerei unter freiem Himmel, wobei der skeptische Dichter zunächst einmal feststellt, dass uns die Zeichen der Natur genauso fremd geworden sind wie das klassische Versmaß: „Freilich sind uns die Werke der Wälder / fremder inzwischen als die des Ovid / und die knisternde Wollust der Felder / ferner als das fernste Orplid“.

Weil Falkner sich aber nicht auf die ferne Märcheninsel zurückziehen möchte, die Mörike einst erfand, zieht er los, um den „naturpoetischen Grundwortschatz“ überhaupt erst mal wiederzuentdecken. Falkner klopft die Landschaft ab, sucht nach lyrischen Momenten in der unberührten Landschaft, findet sie, übersetzt sie in ein vielfältiges und atemberaubendes Sprachspiel. Er kann alle poetischen Register ziehen und alles mit allem in Verbindung setzen, und bleibt sich doch treu in der Präzision des Gedankens, der wahrhaft freie Assoziationen ermöglicht.

So entwirft Falkner ein poetisches Gegenprogramm zum tümelnden Heimatfreund, der nur wenig von den Zusammenhängen in der Natur versteht und sich seine Ergriffenheit über die deutschen Auen doch nur aus den althergebrachten Pathosformeln borgt. Viel mehr als der ausschweifenden Prosa gelingt es also der kunstvoll auf Verknappung setzenden Lyrik, den Plattitüden in der Politik ein tiefgründiges Erinnern entgegenzusetzen: „Mir geht es ähnlich wie den Worten / sie liegen offen wie Steine, es wächst / einfach kein Gras drüber, sie überstehen / ihr Schweigen mit unmenschlicher Härte.“

Wie Falkner hier mit einem klassischen Zeilensprung die einander entfremdete Sprach- und Dingwelt wieder verbindet, zeigt seine beeindruckende Könnerschaft. Dieser Dichter, der aus der Fülle schöpfen könnte, weiß um die Macht der kleinen Formen.

Was Chanas heiter-melancholische Liebeslyrik und Falkners Freiluftpoesie also verbindet, ist die elegante Zuspitzung und die Erkenntnis, dass in der Reduktion, die Vielstimmigkeit zulässt, die Sprache selbst wieder zum Sprechen kommt. Da geraten dann selbst einfache Suchbewegungen zu Möglichkeiten, sich zu vertiefen und das Vieldeutige ernsthaft und zugleich mit einem leichten Augenzwinkern zu loben: „Ich habe morgens überhaupt keine Chance mehr / meine Socken wiederzufinden / so existenziell ist alles geworden / so bodenlos vieldeutig / so schwärmerisch vertieft.“

Noch einen Schritt weiter geht ein anderer Meister des lyrischen Minimalismus, nämlich der Schweizer Dichter Klaus Merz, dem Schwärmerei, mag sie noch so vertiefend vieldeutig sein, völlig fremd ist. In seinem neuen Werk „firma“ zeichnet der vielfach ausgezeichnete Autor die Geschichte eines Betriebes nach, beginnend im Juli 1968, endend im Dezember 2018. Dazwischen gibt es Neueinstellungen, gute und schlechtere Bilanzen, Firmenfeste, Weltpolitik und auch die Liebe: „Wäre der Geschlechtsverkehr nicht offen- / sichtlich in geschäftseigenen Räumen vollzogen worden, wir hätten darüber hin- / wegsehen können: Die beiden Beteiligten / zeigen ihre erhitzten Gemüter, dahinter / unscharf das Firmenlogo.“

Die Zeichen der Natur sind uns so fremd wie das klassische Versmaß

Ein anonymer Fotograf hat das Bild, so erfahren wir, ans Schwarze Brett gepinnt, doch der Denunziant hat wenig Erfolg: „Wir haben Stellung beziehen müssen / und halten fest: Es ist Liebe. Unterm Reisregen / der gesamten Belegschaft verlässt das / Hochzeitspaar kurz vor Mittag guter Hoffnung die Kirche.“

Die gebundene Kurzprosa, die auf eine Genrebezeichnung verzichtet und in der mit dem Enjambement ähnlich virtuos umgegangen wird wie in Falkners Landschaftspoesie, wartet mit einer elementaren Botschaft auf. Selbst wenn nun wirklich jede Form von sprachlichem Schnörkel entfällt, wenn also ein nahezu ökonomisches Gerüst des Erzählens beziehungsweise Dichtens übrigbleibt, gibt es noch ein Festhalten an Nachsicht und Liebe. Womit der Text sehr subtil Form und autobiografischen Inhalt verschränkt.

Denn das geheimnisvolle Unternehmen, das vom Beglaubigen und Bezeugen lebt und das unter kapitalistischen Marktbedingungen keine Chance hat, lässt sich auch als Firmengeschichte des Schriftstellers Klaus Merz lesen. Der konnte vom Dichten nicht leben, wurde Lehrer und schuf ein lyrisches Werk, dessen viel gelobte Kunst nicht zuletzt darin bestand, in der größtmöglichen Verdichtung eine glaubhafte Schönheit zu veranschaulichen.

„Alles wird gut“ heißt ein Dreizeiler aus dem zweiten Teil des Bandes, in dem der Dichter das Firmengelände verlässt und „über den Zaun“ hinausgehen möchte: „Von den Schläfen / fällt Schorf auf deine Schultern. / Als Zeichen der Heilung.“ Und am Ende dann ein „Geständnis“: „Nichts geht / ohne den Beistand / der Wörter.“

Wer indes nicht auf die Wörter hören will und dem wortwörtlichen Beistand der Sprache nichts abgewinnen kann, wird nur Propaganda verfassen. Die wird vielleicht kurzfristig auf der politischen Bühne erfolgreich sein, aber auf lange Sicht vor allem Ödnis hinterlassen. Insofern können die Gedichtbände von Chana, Merz und Falkner auch als Heilmittel für eine verschorfte Öffentlichkeit gelten, in der prägnante Sätze vor allem als Hasstirade oder Belanglosigkeit vorkommen.

Daniela Chana: „Sagt die Dame“. Limbus Verlag, Innsbruck 2019, 96 Seiten, 13 Euro

Gerhard Falkner: „Schorfheide“. Berlin Verlag, Berlin 2019, 128 Seiten, 22 Euro

Klaus Merz: „firma“. Haymon, Innsbruck 2019, 136 Seiten, 19,90 Euro