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Der Staat neigt stets zu nur scheinbar fortschrittlicher Politik

Johannes Agnolis „Staat und Kapital“ wird neu aufgelegt. Darin findet sich ein Schlüsseltext materialistischer Staatstheorie

Johannes Agnoli: „Staat und Kapital“. Hrsg von Michael Hewener. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2019, 144 Seiten, 16,80 Euro

Von Christopher Wimmer

Worin mag der Zweck eines Bandes liegen, der bereits 1975 erschienen ist und schon damals vom Autor selbst als nur „vorläufiges Arbeitsergebnis“ bezeichnet wurde? Wieso sollte man sich dem deutsch-italienischen Politikwissenschaftler Johannes Agnoli, denn um ihn geht es hier, wieder nähern?

Der Schmetterling Verlag hat aktuell unter dem Titel „Staat und Kapital“ die zentralen Texte Johannes Agnolis, die erstmals 1975 erschienen sind, neu aufgelegt. Die Re-Lektüre der Aufsätze „Revolutionäre Strategie und Parlamentarismus“ sowie „Klasse und Staat in Deutschland“ beantwortet die ­Fragen noch nicht hinreichend. Sie entstanden vor dem Hintergrund der Arbeitskämpfe in der Fiat-Fabrik in Turin und der spezifischen Situation der 1970er Jahre in Italien. Die Texte sind als eine historische Kritik im Handgemenge zu verstehen. Auch wenn dort in hochspannender Weise politische Strategien diskutiert werden und Agnoli weitblickend das Scheitern des „historischen Kompromisses“ in Italien, also die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Christdemokraten, voraussagt, bleiben die Texte in erster Linie interessant für Historiker*innen.

Anders verhält es sich bei dem Aufsatz „Der Staat des Kapitals“, der basierend auf einer Vorlesung an der Universität Turin als Schlüsseltext materialistischer Staatstheorie gilt. Darin legt Agnoli schlüssig das Verhältnis zwischen Staat und Kapitalismus dar. Zum einen versuche der Staat stets, die Stabilität des Kapitalismus zu gewährleisten. Dafür sei es für ihn aber auch notwendig, kurzfristig gegen die Interessen von Einzelkapitalen zu handeln und scheinbar fortschrittliche Politik zu betreiben. Dies geschehe beispielsweise über gesetzliche Regelungen von Urlaubstagen, Krankheitsfällen oder die Festlegung von Mindestlöhnen.

Linke Regierungen, die die kapitalistische Wirtschaft unangetastet lassen, müssen notwendig scheitern

Solche „Mittel zum Zweck“ müsse die politische Linke aber stets als solche benennen und – trotz ihrer realen Vorteile – kritisieren. Agnoli benennt die Gefahr, wenn dies nicht passiert: Linke Regierungen, die das kapitalistische Wirtschaftssystem unangetastet lassen, müssen notwendig scheitern. Der Staat bleibt immer Staat des Kapitals.

Um diesen Gedanken präsent zu halten, lohnt Agnoli. Nicht nur die Grünen, sondern auch Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien (von der Elendsgeschichte der SPD bitte ganz zu schweigen!) sind als kapitalistische Partei geendet. Eine Linke, der es kapitalismuskritisch ums Ganze geht, sollte als ersten Schritt bei Agnoli nachlesen. Die Möglichkeit besteht nun wieder.

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