: Wer folgt hier wem
Basisdemokratisch, blechlastig, folkig und gut: Die Express Brass Band aus München und ihr neues Album „Who’s following who“
Von Steffen Greiner
Wer folgt wem, das verhält sich im Social-Media-Zeitalter ein bisschen wie bei einem Kindergeburtstag. Früher musste man ja auch die Natalie einladen, wenn die Natalie dich eingeladen hat. Bei Twitter und Instagram ist das, ist man selbst kein Star, bisweilen ähnlich. Wer folgt wem, ein Gesellschaftsspiel – aber auch, etwa in Rechtspopulismus-Gesellschaften: ein gefährliches.
Für die Express Brass Band aus München ist es eine Fantasie zwischen Blechbläsern und Beatles, der Titelsong des neuen Albums verspult wie Sergeant Pepper: „Who’s following who? I follow the sun“, singt eine Männerstimme da, schön und schief wie Syd Barrett, der exzentrische erste Gitarrist und Sänger von Pink Floyd.
Das sind neue Klänge für die vielköpfige Blasband, obwohl sie so vertraut klingen, fast schon poptraditionell, und obwohl der Inhalt – „ich folge der Sonne“ – die Erzählung dieser Band ganz allein erzählen könnte: das Sonnensystem als Bezugspunkt. „Pluto kein Planet“, so hieß vor zwei Jahren das dritte Album, Bandleader Wolfi Schlick wird schon mal ehrfürchtig und nur vielleicht ein bisschen ironisch als „bayrischer Sun Ra“ bezeichnet.
Eigentlich wollte Schlick ja bloß eine Marching Band gründen, vor gut zwei Jahrzehnten: eine Band zum Draußenspielen und Rumlaufen, ein bisschen so wie die italienischen Bande Aperte, linke Blechblaskollektive, die Entscheidungen basisdemokratisch treffen und in politischem Rahmen auftreten. Dann aber stieß er, mithilfe von Christian Burchard von der Münchner Kraut-Jazz-Global-Pop-Legende Embryo, der bis zu seinem Tod 2018 ebenfalls zur Band gehörte, auf Folk aus dem arabischen Raum und aus Afghanistan. Diese Pole könnten bis heute die DNA der Express Brass Band bilden – allein: Es kamen noch so viele hinzu, Stützpfeiler und Schnörkel.
Da gibt es natürlich Exzesse in Balkan-Brass und Swing, afrofuturistische Experimente, Funk, Soul und New Orleans. Referenzen: Fela Kuti, Sun Ra, Moondog, das Art Ensemble of Chicago. Als 2017 „Pluto kein Planet“ veröffentlicht wurde, war der Klangkosmos gerade in Transformation: Professionalisierung, das klingt etwas abgefeimt, sicher, nötig aber schien sie Schlick damals, sollte doch eine Truppe zusammengehalten werden, deren Mitglieder immer tiefer auch ins eigene Leben verstrickt sind. Manchmal probte man nur mit einer Handvoll Musiker*innen, wo die Band doch aus 25 Menschen bestand. Basisdemokratische Entscheidungsfindung wird da umso schwerer.
Es sieht so aus, als sei es geglückt, die Band neu zu strukturieren, ohne den Klang-Anarchismus einzuhegen, der ihr Spiel zu verführerisch und euphorisch macht. Marktübliche zwei Jahre ließ man sich zwischen den Alben Zeit, viele neue Mitglieder sind zum Kern der Band gestoßen. Jüngere Menschen, junge Energie. Wer folgt hier wem?
Auf „Who’s Following Who“ fallen zuerst die Popsongs auf, neben dem Titelsong vor allem der Auftaktsong „Happiness“ – denn so sehr exzessiv das Klangbild ist, so konzentriert zeigt sich hier, welches kompositorische Geschick die Münchner*innen teilen. Mehr als zuvor fallen Latino-Grooves ins Gewicht. Aber natürlich auch Maghreb-Soul, Afrobeat, Swamp-Jazz. Es wird, auf „Monimbo“ etwa, ganz klassisch gerappt, über einen betörenden Brass-Groove. „Andalousian Springtime“ ist traditionellem Bläser-Folk nachgebildet und steigert sich in tänzerische Spiralen, während „Spring On Earth“ mit seinem repetitiven Jazzcharakter überzeugt.
Das Herausragende an der Express Brass Band aber ist: dass sie klingt, als wäre sie ebenso viele Bands wie das Album Stücke aufweist. Und dass es dennoch etwas gibt, was alle diese Stücke aneinanderbindet. Einen Vibe, vielleicht, oder eine Freude, die durch alle Genres schießt, auf alle Planeten, die die Truppe besucht.
Wohin man ihr auch folgt: Es wird die gleiche Sonne sein, die dort scheint.
Express Brass Band: „Who’s following who“ (Trikont/Indigo)
Live: 28. Juli, Sidewalk Cultures Festival, München
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