: „Bremen ist der Einäugige unter den Blinden“
Laut dem „Copenhagenize Index 2019“ ist Bremen die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands – laut Hannah Simon vom ADFC befindet sie sich allerdings nur „zwischen befriedigend und ausreichend“
InterviewLukas Scharfenberger
taz: Frau Simon, laut dem „Copenhagenize Index 2019“ ist Bremen die fahrradfreundlichste Großstadt Deutschlands. Ist Bremen wirklich so toll?
Hannah Simon: Nicht nur beim Copenhagenize Index, sondern auch bei unser eigenen Umfrage, dem Fahrradklima-Test, belegt Bremen den ersten Platz. Das klingt jetzt erst mal gut. Im Vergleich zu anderen Großstädten in Deutschland kann man sagen, dass Bremen der Einäugige unter den Blinden ist.
Was hat Bremen anderen deutschen Städten voraus?
Vor allem haben wir ein weites Radwegnetz und dadurch, dass die Infrastruktur vorhanden ist, sind viele Leute auch motiviert, das Rad zu nutzen. Der Anteil von Fahrradfahrern am Verkehr liegt bei 25 Prozent. Das ist der höchste Wert unter Großstädten in Deutschland. Außerdem gibt es hier auch Vorreiterprojekte wie das Fahrradmodellquartier. Da wird bis Ende September ein Quartier komplett fahrradfreundlich gestaltet. Das ist in Deutschland einzigartig, dafür hat die Stadt auch den deutschen Fahrradpreis verliehen bekommen.
Was untersucht der Fahrradklima-Test?
Wir befragen Fahrradfahrer nach ihrer subjektiven Einschätzung zur Fahrradfreundlichkeit ihrer Stadt. Der Test wird alle zwei Jahre bundesweit durchgeführt. Bremen kommt immer auf eine gute Platzierung. Auffällig ist aber, dass die Bewertung gar nicht so gut ist: Wir haben dieses Jahr eine Note von 3,55. Bremen liegt also zwischen befriedigend und ausreichend.
Im internationalen Vergleich liegt Bremen auf dem elften Platz. Was haben andere Städte Bremen voraus?
Internationale Spitzenreiter wie Kopenhagen oder Amsterdam haben einen Fahrradanteil von bis zu 40 Prozent, das ist viel mehr als die erwähnten 25 Prozent in Bremen. Auch die Ausgaben für den Fahrradverkehr liegen pro Einwohner in anderen Städten deutlich höher. Kopenhagen investiert jährlich 36 Euro pro Kopf in den Fahrradverkehr, Bremen gerade mal 6,70 Euro. Die Fahrradwege in Bremen sind manchmal sogar eine Katastrophe: Viele sind zu schmal und in keinem guten Zustand, was unbequem und gefährlich ist. Ebenfalls ein großes Problem: illegales Parken auf Radwegen. Das wurde auch von den Befragten des Fahrradklima-Tests negativ bewertet und zwar mit der Note 5, also mangelhaft.
Was könnte man konkret verbessern?
Gegen Falschparken würde eine Ausweitung der Parkraumüberwachung und Anhebung der Bußgelder helfen. Bremen fehlt ein generelles System der Parkraumbewirtschaftung, wie es in vielen anderen Großstädten üblich ist. Für Fahrräder brauchen wir auf jeden Fall mehr Stellplätze. Wenn man aus dem Bahnhof kommt und die Räder überall rumstehen, merkt man das – genauso, wenn man in die Wohnquartiere blickt. Damit mehr Menschen Fahrrad fahren, müssen sie wissen, wo sie parken können. Außerdem brauchen wir sicherere Radwege und man muss darüber nachdenken, wie man die Wege miteinander verbinden kann. Fahrradpremiumrouten halten wir für ein gutes Konzept.
Was ist denn das Gute an solchen Premiumrouten?
Das sind sozusagen Fahrrad-Hauptverkehrsstraßen, auf denen man auf guten Oberflächen in ausreichender Breite größere Distanzen zurücklegen kann. Es geht einfach darum, dass ein Wegenetz geschaffen wird, auf dem man schnell von A nach B kommt. Eine gute Idee sind auch die drei geplanten Weserbrücken. Das verkürzt die Routen. Für die Entscheidung, auf das Rad umzusteigen, ist das ausschlaggebend.
Viele Ihrer Forderungen sind Teil des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und Linken. Wie bewerten Sie den Vertrag im Hinblick auf den Fahrradverkehr?
Wenn der Koalitionsvertrag umgesetzt wird, gibt es die Möglichkeit, eine wirklich fahrradfreundliche Stadt zu werden. Was uns am Herzen liegt, ist, dass die Politik die vielfach vorhandene Planung endlich umsetzt, damit die Leute auch etwas sehen. Beispielsweise hoffen wir, dass drei Radpremiumrouten tatsächlich kommen und dass die Ausgaben pro Kopf für den Radverkehr deutlich steigen. Insofern begrüßen wir es, dass der Etat vervierfacht werden soll, auch wenn das an unsere Vorstellungen und das Kopenhagener Vorbild noch nicht heranreicht.
Vor allem die Grünen haben das Thema Fahrradverkehr im Wahlprogramm. Die Partei ist in Bremen aber schon länger an der Regierung. Wie bewerten Sie das?
Man muss natürlich sagen, dass schon viel passiert ist. Die Parkallee, der Stern und das Herdentor wurden überarbeitet, auch das Fahrradmodellquartier wurde umgesetzt. Dennoch ärgert uns, dass viele gute Ideen im Verkehrsentwicklungsplan 2014, an dem die Grünen ja beteiligt waren, in der letzten Legislaturperiode nicht umgesetzt worden sind. Gerade bei den Themen Radpremiumrouten und Weserbrücken ist einfach zu wenig passiert. Wir hoffen, dass die etwas gestärkte Grünen-Fraktion da etwas bewegt.
Würden Sie trotz aller Auszeichnungen sagen, dass Bremen eine Autostadt ist?
Wenn man den Anteil der Autos am Gesamtverkehr betrachtet, liegt der mit 40 Prozent deutlich über den 25 Prozent Fahrradanteil. Es wird viel Auto gefahren, aber wir wollen, dass Bremen tatsächlich eine Fahrradstadt wird. Weniger Lärmbelastung und Emissionen steigern die Lebensqualität. Das Rad sehen wir in einer zentralen Rolle in der Verkehrswende, deswegen glauben wir, dass es Sinn macht, den Radverkehr zu stärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen