BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER
: Im Biergarten des Kanzlers

Jan Feddersens Gastrokritik: Im Zollpackhof gegenüber vom Kanzleramt sitzt man nicht in der richtigen Natur, aber eindeutig im Grünen

Das ist ja das Schöne an dieser Gegend um den neuen Hauptbahnhof: dass sie nicht aussieht, als könnte man dort Bauernhoffantasien („oh, so schroff die Architektur“) einfädeln. Nein, das Spreeufer von der Friedrichstraße an den Regierungs- und Parlamentsbauten vorbei, am Schloss Bellevue, an Schilys Innenministerium entlang bis ins Charlottenburger Irgendwo ist schön metropol, fern flauschiger Provinzlandschaft.

Künstlich, das alles. Und alles man kann abschreiten. Bleibt möglicherweise doch hängen an der Bahnhofsseite des Ufers, gegenüber vom Kanzleramt, und kommt im Biergarten am ehemaligen Zollpackhof, wie das Lokal auch heißt, zum Sitzen.

Das ist ein wirklich schönes Areal – viele, viele Bänke draußen, für die etwas besseren Gäste gibt es auch eine ausgezeichnete Bedienung à la carte drinnen. Aber das Schöne an diesem herrlich verregneten Sommer ist doch, dass die Biergärten erst zur Bestimmung gelangen. Man sitzt unter Bäumen – und die Bäume halten das Nass fern.

Hin und wieder tröpfelt es unter den Kastanien, aber das ist eben Natur, dieser Regen. Kuschelig, wenn man zu zehnt beieinander sitzt und als Kulisse die Architekturen der Berliner Republik vor sich hat. Gott sei Dank kein echtes Biotop – und durch alles Grün wabert ein wenig vom metropolen Verkehrslärm.

Dieser Biergarten ist im Grunde der Schöne der Neuen seiner Art. Im Hintergrund, versteckt hinter hohen Bäumen, ist die Sicherheitszentrale des Regierungsviertels beheimatet, ein schmucker, legofarbenartiger Bau zwischen Bahngleisen und Spree. Manche sagen, das sehe aus wie eine Fotowand.

Die Speisen, die Getränke? Schnell zu haben, die Bedienung wirkt wie eine aufgedrehte Crew von Gastro-Newcomern, als müsste sie beweisen, dass Service mit Freundlichkeit beginnt und dann mit Trinkgeld aufhört. Extrem angenehm!

Okay, der Fleischkäse könnte etwas wärmer sein, wird er angerichtet auf den Tellern, auch sollte man, kommt man zu zweit, sich aufteilen. Holt die eine das Bier, organisiert er die Tellergerichte für Gartenbedürfnisse: Dann sind sie beide etwa zugleich an der Kasse, das hilft dem Bier, nicht schal zu werden, und den Speisen, nicht auszukühlen. Alle Getränke sind goutierbar, auch alle Weine; die Biere sind frisch, nichts wird aus Resten zusammengegossen. Köstlich.

Aber das Spezielle … nun ja, das ist eben, dass dieses Gartenlokal im Wedding oder in Kreuzberg oder Schöneberg kaum Charme hätte: Denn dort ist man gastronomisch stets unter sich – aber mitten in der Hauptstadt erträgt man gern, Mitgäste zu sehen, die man modisch, sonst wie ästhetisch scheußlich fände. Aber im Zollpackhof hat das alles seine Harmonie: Man freut sich, nicht in der Natur zu sein und doch im Grünen.

ZOLLPACKHOF, Alt-Moabit 143–145 10557 Berlin, Tel.: (0 30) 3 30 99 70, mail@zollpackhof.de. S-Bahnhof Hauptbahnhof (Lehrter Bahnhof) S 3, S 5, S 7, S 75, S 9. Draußen Biergarten mit Selbstbedienung und gehobener Preislage, drinnen Restaurant.