Partisan vom Planet Paprika

BALKAN-POP Das wird laut: Shantel und sein „Bukovina Club Orchestra“ erzählen unsentimentale Geschichten aus der südosteuropäischen Heimat der Großeltern

Plötzlich findet man Sonnenbrillenträger mit Zuhälteranzügen cool

VON REBECCA CLARE SANGER

Mit dem Balkan-Pop in Hamburg ist das so ein bisschen wie mit der Soja-Milch in den Galăos. Wo hat das überhaupt angefangen? Russendisko, Datschaparty, dann gab’s irgendwie Platten vom „Bukovina Orchestar“ und Lieder wie „Disko Partisani“, die man plötzlich überall hörte. Und jetzt das! „Planet Paprika this is where we’re from, Planet Paprika is our cosy home“. Wenn man es zum ersten Mal hört, denkt man an einen Insider-Scherz des Deutschlandradiomoderators. Beim zweiten Mal geht der Ohrwurm tagelang nicht weg – und beim dritten Mal findet man plötzlich dunkelstoppelige Sonnenbrillenträger mit Zuhälteranzügen cool! Na danke.

Stefan Hantel, aka Shantel, der DJ, der schon in der Grundschule unglaublich viel zu sagen hatte, in atemlosen Aufsätzen, die er mit S. Hantel zu unterschreiben pflegte, redet heute vom Mythos des Vielvölkerstaats, wo verschiedene Kulturen sich befruchten, aus Notwendigkeit. So nervig wie Musiker mit einem sozialen Gewissen sein können, so ausführlich weiß S. Hantel von der Bukovina, Heimat seiner Großeltern, wo Anfang dieses Jahrhunderts Rumänen, Deutsche, Juden und Ukrainer friedlich nebeneinander her lebten, zu erzählen. Jahreszahlen der Geschichte der Landschaft mischen sich mit Jahreszahlen aus der Geschichte seiner Familie: „Ich wollte einfach mal die Geschichte der Bukovina anders erzählen, ohne die ganzen Tränen, die regelmäßig bei uns zu Hause flossen, wenn von der alten Heimat erzählt wurde.“

Dabei geht es Shantel nicht darum, die Musik vom Balkan wiederzugeben. Im Gegenteil: sein Blick sei nicht sentimental – und habe auch mit der Musik der Gegend nichts zu tun. Nicht, dass er nicht traurig sei, wenn rumänische Straßenmusiker in Großstädten zu amerikanischen Evergreens greifen müssen, statt traditionelle Musik spielen zu können, um überhaupt ein paar Einnahmen zu haben. Es ärgere ihn, dass die meiste Musik, mit der er in der Öffentlichkeit konfrontiert sei, anglo-amerikanischen Ursprungs sei. Noch mehr ärgere ihn, dass er mit seinem 16-köpfigen Orchester nicht in die USA einreisen könne, weil viele seiner Musiker gar keine Visa kriegten.

Und mit dem Politischsein sei es ein wenig wie mit dem Sex in unserer Gesellschaft. Die sei hochsexualisiert, aber Erotik sei versteckt, verborgen. Ebenso sei Politischsein etwas Unlautes. Für Shantel besteht es darin, Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa zu überwinden. Im Fall USA aber hat er aufgegeben. „Dann spielen wir da halt nicht, das kostet mich ja eh nur mein Geld!“

Womit er wieder ganz in der guten, alten Familientradition liegt. Der Großvater aus der Bukovina fuhr auch eher in Richtung Osten, als Bahnführer auf dem Bahnnetz der Sowjetunion zwischen Wien, Odessa und Istanbul. Fein, dass sein Enkel Hamburg mit auf dem Programm hat. Laut wird’s, und getanzt wird und gefeiert wird: am Montag im Grünspan.

■ Mo, 19. 10., 20 Uhr, Grünspan, Große Freiheit 58