Neue Anlaufstelle für Verbrechensopfer

OPFERSCHUTZ Die Deutsche Allianz Kapitalverbrechen will ganz bewusst parteiisch sein – und damit die Interessen der Opfer besser zur Geltung bringen. Statt ehrenamtlicher Betreuung setzt sie auf Spezialisten

Sie haben Kinder bei Gewalt- und Sexualverbrechen verloren oder Angehörige bei Terroranschlägen – und sie sind unzufrieden mit der Art, wie Opfer von Straftaten und deren Hinterbliebene behandelt werden: Betroffene und Hinterbliebene haben in Deutschland eine neue Initiative gegründet, um Interessen von Verbrechensopfern gegenüber Justiz, Politik und Behörden besser durchzusetzen. Mit viel Engagement fordert die Deutsche Allianz Kapitalverbrechen mit Sitz in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen die Professionalisierung der Hilfe sowie die Berücksichtigung der Nöte und Erfahrungen der Betroffenen.

„Man spricht in Deutschland bislang nur über, aber nicht mit uns“, beklagt der Vorsitzende des Verbands, Bert Simon. Eine Stalkerin verletzte den 39-Jährigen vor einigen Jahren beinahe tödlich – diese einschneidende Erfahrung führte dazu, dass er sich nun mit weiteren Betroffenen ganz dem Ziel einer besseren Opferversorgung widmet. Ihn unterstützt der medienerfahrene Vater des kleinen Adrian, der 2002 bei dem Terroranschlag auf die Synagoge in Djerba schwere Verbrennungen erlitt. Ebenso einige Eltern, deren Kinder ermordet wurden.

Die deutschen Opferschutz-Gesetze seien gut, im internationalen Vergleich sogar mustergültig, sagt Simon. Aber: „Die Umsetzung ist eine einzige Katastrophe.“ So gibt es zwar das Opferentschädigungsgesetz (OEG), das jedem Betroffenen Hilfe sichert. Doch hohe bürokratische Hürden und gefühllose Ämterkommunikation brächten Opfer „in ihrem unglaublichen Leiden“ lange vorher zur Verzweiflung, sagt Simon. Die Realität sieht entsprechend aus: 211.000 Gewaltdelikte ereigneten sich laut Kriminalitätsstatistik 2008 in Deutschland, aber nur 10,5 Prozent der Opfer stellen später überhaupt einen Antrag nach dem OEG.

Besonders sauer stößt den Betroffenen zudem auf, dass selbst Opfer schwerster Verbrechen an ein ihrer Meinung nach völlig überfordertes System ehrenamtlicher Beratungsangebote verwiesen werden, wie es seit den 1970er Jahren vom Weißen Ring aufgebaut wurde. Der einst von dem ZDF-Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann („Aktenzeichen XY ungelöst“) ins Leben gerufene Verein betreut Betroffene und gilt den Behörden als Ansprechpartner. Die Arbeit des Weißen Rings sei „sehr, sehr gut“, sagt Simon. Aber vielfach nicht mehr zeitgemäß.

Dessen Kompetenz reiche etwa bei Gewalt- oder Sexualverbrechen mit schwerst traumatisierten Opfern oder Hinterbliebenen einfach nicht aus, meint der Vorsitzende, der mit seiner Allianz daher an einem separaten Netzwerk für Betroffene und Spezialisten arbeitet. „Die Verwundungen sind dann so schwer, dass sie Fachleute brauchen.“ Auch dass sich der Weiße Ring als neutrale Hilfseinrichtung und nicht als Interessenvertretung der Opfer betrachtet, sieht er als Fehler.

Beim so gescholtenen Weißen Ring beobachtet man die neue Initiative mit einer Mischung aus Sympathie und Bedenken. „Konkurrenz sehen wir in keinster Weise. Aber wir sehen auch keinen Schulterschluss“, sagt Sprecher Helmut Rüster. Tatsächlich sei die Entschädigungspraxis in Deutschland noch zu restriktiv, es fehlten zentrale Anlaufstellen. „Das ist blamabel.“ Ob die Strategie der neuen Allianz, sich als einzig legitimer Ansprechpartner für Opfer zu präsentieren, der Arbeit seines Verbands überlegen sei, bezweifelt er. „Es muss letztlich für die Opfer etwas herumkommen.“ SEBASTIAN BRONST