Zu Unrecht aufgelöst

VERSAMMLUNGSRECHT Der Polizeieinsatz vor dem Kohlekraftwerk Moorburg war laut Amtsgericht rechtswidrig. Nun stehen fünf Demonstranten vor dem Landgericht, weil sie einen Polizisten verprügelt haben sollen

„Glücklicherweise existiert ein Video, das die meisten entlastet“

Einer der Angeklagten

von KAI VON APPEN

Ein Eingeständnis ist die beste Möglichkeit einem Prozess mit peinlicher Beweisaufnahme vorzubeugen. So lautet scheinbar auch die Devise der Rechtsabteilung der Hamburger Polizei. Sie räumt die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes gegen Demonstranten im Zuge des Klima- und Antirassismus-Camps 2008 vor dem umstrittenen Kohlekraftwerk Moorburg ein. Es werde hiermit erklärt, „dass die Beklagte anerkennt“, so heißt es knapp in einem einzeiligen Brief der Polizei an das Hamburger Verwaltungsgericht.

150 Aktivisten der Kampagne Gegenstrom 08 waren am 20.  August 2008 am frühen Abend zur Unterstützung vor die Vattenfall-Kraftwerks-Baustelle gezogen, nachdem es 40 Kraftwerksgegnern gelungen war, zwei Baukräne zu besetzen und ein Transparent „Stromkonzerne enteignen“ anzubringen. Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde setzte dem Protest vor dem Zaun des geplanten Kohlemeilers gegen 21.30 Uhr ein Ende. Der Polizeieinsatz wegen der Demonstration habe den „Steuerzahler schon genug Geld gekostet“, erklärte er dem Demoanmelder. Außerdem sei die Veranstaltung inzwischen ein „unpolitisches Abhängen“, da nur Musik gespielt werde. Der Protest sei daher nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt. Dudde ließ die Straße räumen, die Kraftwerksgegner wurden von Polizisten abgeführt oder weggetragen.

Trotz des Eingeständnisses der Polizei ist der Rechtsstreit formal jedoch noch nicht erledigt. „Wir wollen eigentlich ein Anerkennungsurteil“, sagt Gegenstrom08-Anwalt Carsten Gericke. Dabei wird ohne Beweisaufnahme der Tenor der Klage in einem Urteil festgeschrieben, was laut Gericke bei Fortsetzungsfeststellungsklagen der praktikabelste Weg sei. Das halten auch die Polizeijuristen für den richtigen Weg. Das Verwaltungsgericht möchte indes, dass der Rechtsstreit durch einen Vergleich für „erledigt“ erklärt wird, andernfalls müsse man im Detail in die Materie einsteigen. Nun muss sich der Demoanmelder Ferdinand Dürr entscheiden.

Schon vor dem Verwaltungsgerichts-Procedere hatte das Amtsgericht Hamburg den Polizeieinsatz für rechtswidrig erklärt und die Demonstranten vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz freigesprochen. Sie hatten einen Bußgeld-Bescheid von je 135 Euro erhalten, weil sie der auch für Laien offenkundig rechtswidrigen Aufforderung zum Entfernen nicht freiwillig nachgekommen waren und von Polizisten weggetragen werden mussten. „Alle Verfahren sind mittlerweile eingestellt oder die Betroffen freigesprochen worden“, sagt die Berliner Anwältin Maren Burkhardt.

Eine entscheidende Rolle spielt Einsatzleiter Dudde auch in der kommenden Woche, wenn der Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung gegen fünf Personen beginnt. Sie sollen bei der „Fluten08“-Demonstration im Rahmen der Camp-Aktivitäten gegen die Abschiebepraxis am Flughafen am 21. August 2008 einen Polizisten verprügelt haben.

Die Polizei hatte im Vorweg versucht, die Demonstration vor dem „Terminal Tango“ der Bundespolizei zeitlich bis 15 Uhr zu beschränken. Die Veranstalter hatten ihren Protest bis 19 Uhr angemeldet. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht gaben den Veranstaltern recht und gestatteten den Protest bis 19 Uhr. Fast auf den Glockenschlag genau erklärte Dudde die Versammlung um 15 Uhr jedoch für aufgelöst, weil angeblich aus ihr heraus Straftaten in den Abflug-Terminals verübt worden seien. „Das ist schon aus räumlichen Gründen absurd“, sagt die Anwältin Cornelia Ganten-Lange, die Klage vor dem Verwaltungsgericht eingelegt hat. „Es gab keine unmittelbare Gefahr durch die Versammlung.“

Das vorzeitige Ende führte unter den Versammlungsteilnehmern zu Unmut. Einem Streifenwagen wurde ein Aufkleber verpasst, was sofort Polizisten zum Einschreiten animierte. Es kam zu einem Gerangel, wobei ein Polizist verprügelt wurde. Einsatzleiter Dudde erklärte als Hauptbelastungszeuge, die fünf Angeklagten erkannt zu haben, wie sie den am Boden liegenden Kollegen geschlagen und getreten hätten.

„Glücklicherweise existiert ein Video, das die meisten entlastet“, sagt einer der Angeklagten. In einem Parallelverfahren vor dem Amtsgericht Winsen-Luhe musste Dudde vorletzte Woche eingestehen, sich „geirrt“ zu haben. Der jugendliche Angeklagte ist rechtskräftig freigesprochen worden.