: Die einen tanzen, die anderen musizieren
Das internationale Festival „Soundance“ vereint zum dritten Mal zwei eng verwandte Kunstformen: zeitgenössischen Tanz und Musik. Dieses Jahr stehen begehbare Konzert-Tanzperformances und „verkörperte Gedichte“ auf dem Programm
Von Tom Mustroph
Wer den zeitgenössischen Tanz in Berlin charakterisieren will, kommt der Wirklichkeit schon recht nahe mit der Beschreibung: Eine Person steht und vibriert etwas und dazu kommen Klänge aus der Konserve.
Zum Glück ist die Szene groß genug für mehr als das. Jenny Haack, einst begabte Turnerin, später durch Butoh und Contactimprovisation zum Tanz gekommen, ist so eine Impulsgeberin der anderen Art. Seit drei Jahren veranstaltet sie das Festival „Soundance“. Dabei treffen Musiker*innen auf Tänzer*innen und Choreograf*innen.
Das, was Tanz eigentlich ausmacht – und was in manchem Konzepttanz-Gebaren auch verlorenging –, kommt hier wieder zusammen: Musiker erzeugen Klänge und Tänzer bewegen sich dazu. Manchmal kommt auch die Bewegung zuerst und die Klangwelle folgt der Bewegung im Raum. Auf alle Fälle sind Musiker und Tänzer gemeinsam auf der Bühne. Sie sehen und beachten sich, reagieren aufeinander und stoßen, wenn es gut läuft, in ganz neue Räume vor.
Die Idee entwickelte Haack bei einem anderen Festival, dem Improvisationsfestival „XChange“. „Auf dieser Plattform habe ich erstmals Tänzer und Musiker zusammengebracht“, blickt sie zurück. 2017 startete dann erstmals Soundance. „Anfangs habe ich vor allem Musiker und Tänzer vereint, von denen ich dachte, dass sie gut zueinander passen. Was dann auch zu einigen gemeinsamen Arbeiten geführt hat.Oft war es aber auch so, dass die unterschiedlichen Sprachen erst zueinanderfinden mussten. Das war ein längerer Prozess. Bei dieser Ausgabe habe ich einerseits verstärkt Künstler eingeladen, die bereits durch einen solchen Prozess gegangen sind und die bereits länger zusammenarbeiten. Ich habe andererseits auch Künstler gebeten, selbst einen Abend zu kuratieren und andere Künstler ihrer Wahl einzuladen“, sagt Haack über die Entwicklung ihres Festivals.
So – auf der Basis des gegenseitigen Einladens – entstand auch „again and again“, das Projekt der auf den Berliner Bühnen wohl bekanntesten Violinistin Biliana Voutchkova. Gemeinsam mit dem Klarinettisten Michael Thieke entwickelte sie das Konzept der unscharfen Musik (Blurred Music) und übertrug es mit den Performerinnen Litó Walkey, die einst Teil der experimentellen Truppe „Goat Island“ war, und Gretchen Blegen in Spiel mit Bewegung und Stille, Schatten und Licht.
Ein bewährtes Duo bildet die Jazzpianistin Aki Takase und die Tänzerin Yui Kawaguchi. Seit mehr als zehn Jahren arbeiten die beiden Japanerinnen, die sich in Berlin getroffen haben, zusammen. Takase erzeugt die Töne, zu denen Kawaguchi sich bewegt. Oft genug gibt die Tänzerin aber auch den Rhythmus vor. Beide kreieren Bilder und Emotionen, aktuell inspiriert durch den Roman „Hikon“ („Fliegende Seele“) von Yoko Tawada. Der Handlungsort von „Chaconne – Die Stadt im Klavier IV“ ist ein abgelegenes Waldstück, in das sich eine Frauengruppe auf der Suche nach Spiritualität zurückgezogen hat.
Bewegung, die Klänge auslöst, liegt der Zusammenarbeit zweier Duos zugrunde. Die Choreografin Rossella Canciello und der Komponist Luca Canciello treffen etwa am 29. Juni auf die Choreografin Mimi Jeong und den Lichtkünstler Julien Brun. Sensoren, die an den Körpern der Tänzerinnen angebracht sind, liefern die Bewegungssignale und werden dadurch zu Auslösern von Schall- und Lichtwellen.
Das Festival in der renommierten Tanz-Location „Dock11“ findet noch bis zum Samstag, den 29. Juni statt. Kuratorin Haack freut sich darüber, dass die Idee der Mischung verschiedener Welten aufgeht und sich auch auf den Zuschauerraum überträgt. „Ins Dock11 kommen nicht nur Tanzinteressierte, sondern auch viele wegen der Musik. Auch die Generationen mischen sich, weil Künstler aus verschiedenen Altersgruppen da sind.“
Ausbauen möchte sie in den kommenden Jahren noch die Plattform innerhalb der Plattform: „In der Offenen Onlineplattform stellten wir in diesem Jahr vier Kurzstücke vor. Die insgesamt 114 Einsendungen haben bewiesen, welchen Bedarf es hierfür gibt.“ Das erinnert ein wenig an die Geschichte von „Lucky Trimmer“, dem Festival der Tanzkurzstücke, das einst ebenfalls in Berlin gegründet wurde und zuletzt weltweit mehr als 500 Bewerbungen hatte. Für die nächsten Ausgaben muss sich Haack, die aktuell vom Hauptstadtkulturfonds finanziert wird, aber wieder in die Antragsschlange einreihen und die nächste Förderung beantragen.
Ein paar Effekte hatte ihr Festival bereits. Die Szenen der Tänzer, Choreografen und Musiker tauschen sich inzwischen öfter und regelmäßiger aus. Und selbst wenn die Zeiten, in denen es ausreichte, mal schnell eine Scheibe in den Schlitz der Soundanlage einzulegen oder die eigene Playlist aufs Tonpult zu übertragen und so einen kompletten Abend zu gestalten, noch nicht unbedingt vorbei sind – welche Etats in der freien Szene sind schon groß genug für die Einbindung von Livemusikern? –, so ist die Praxis doch vielfältiger geworden.
Ein pragmatisch wichtiger Schritt ist auch, dass die Künstler sogar während des Festivals die Probenräume des Dock 11 nutzen können, um ihre Kollaborationen weiterzuentwickeln.
Wer das Live-Erlebnis von Bewegung und Klängen mag, ist bei Soundance also bestens aufgehoben.
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