: DasdringendeDutzend
Hormone sind lebenswichtig, aber irgendwie kann man sie nicht auseinanderhalten. Wir stellen zwölf von ihnen vor – als Personen
Von Jolinde Hüchtker
Adrenalin
Der Personaler
Droht dem Körper die Insolvenz, trifft Adrenalin die Personalentscheidungen: Hier Stellenkürzungen, da ein Karrieresprung. Dafür wird zum Beispiel der Verdauung zeitweise gekündigt, Harnblase und Schließmuskel ziehen sich dementsprechend getroffen zusammen. Herzfrequenz und Blutdruck hingegen befördert das Hormon und auch die Atemfrequenz steigt. Adrenalin führt dazu, dass Glucose freigesetzt und neu gebildet wird, der Blutzuckerspiegel steigt an, gleichzeitig mobilisiert ein gesteigerter Fettabbau Energie. Das Unternehmen „Körper“ steht auf Hochleistung. Adrenalin soll in Stresssituationen das Überleben sichern – ursprünglich bei Flucht und Kampf, heute schon auf dem Laufband oder bei der Gehaltsverhandlung.
Cortisol
Helene Fischer
Bringt uns atemlos durch Tag und Nacht: Cortisol lässt den Blutzuckerspiegel steigen und beschleunigt Puls- und Atemfrequenz. Das Hormon gibt uns in Stresssituationen Energie, indem es Aminosäuren in Glucose verwandelt. Ist zu wenig davon im Blut, fühlen wir uns schlapp und müde. Cortisol ist lebenswichtig. Bei einem stressigen Arbeitstag also einfach mal die Musik aufdrehen und im Duett singen: „Wir sind unzertrennlich, irgendwie unsterblich, komm nimm’ meine Hand und geh’ mit mir!“
Oxytocin Der Kuschelrocker
Das Kuschelhormon unter den Botenstoffen zu sein, ist wohl das Pendant dazu, in der Musikbranche zum Kuschelrock zu gehören. „Zum Dahinschmelzen“, sagt die Amazon-Bewertung. Seit Jahren schwören digitale Küchenpsycholog*innen auf Oxytocin als Treuegarant: Oxytocin-Nasenspray gegen Seitensprünge. Dabei soll das Hormon bei der Bindung zum Kind und zur eigenen Gruppe auch Aggression nach außen fördern. Sicher ist: Oxytocin leitet Wehen und Milcheinschuss bei Schwangeren ein. Wer mehr davon produzieren will, sollte öfter Körperkontakt pflegen. Noch einfacher: Orgasmen haben oder singen. Rock ’n’ Roll geht auch.
Serotonin Der Unromantische
„What is love?“, fragte 1993 schon der Sänger Haddaway. Na, wenig Serotonin im Blut, könnte man antworten. Bei Verliebten verkriecht sich das Hormon und der Spiegel sinkt. Dadurch ist man in einer Art Tunnelblick auf einen Menschen fixiert – Liebe funktioniert hormonell wie Zwangsneurosen. Auch depressiven Menschen wird meist ein niedriger Spiegel nachgewiesen. In ausreichender Dosis hingegen macht Serotonin uns gelassen und zufrieden – es hemmt Hunger, Kummer und Aggression. Schokolade macht glücklich, heißt der Mythos. Denn in Kakao ist Tryptophan enthalten, woraus Serotonin gebildet werden kann.
Melatonin Der Morgenmuffel
Ist das Melatonin hellwach, werden wir schläfrig, geht es ins Bett, stehen wir auf – so in etwa kann man sich unseren Biorhythmus vorstellen. Nachts steigt das Hormon an sein Maximum. Es liebt deswegen den Winter: Bei Tagen ohne Sonnenlicht bleibt es auch tagsüber hoch – und wir müde. Melatonin ist der Grund, warum Teenager immer erst um zwölf Uhr zum Frühstückstisch schlurfen. In der Pubertät erhöht sich die Konzentration erst später am Abend und sinkt später am Morgen. Nein, Mama, früh ins Bett gehen hilft nicht.
Dopamin Der falsche Hase
Klimawandel, Rüstungsexporte, Stromausfall – warum stehen wir morgens eigentlich noch auf? Dopamin ist die Antwort. Es motiviert uns und wird bei Belohnungsreizen ausgeschüttet. Das funktioniert so gut, dass wir süchtig werden können: Heroin zum Beispiel aktiviert die Zellen mit Dopamin-Rezeptoren – bis zu zehnmal so stark wie leckeres Essen, heißt es. Übrigens: Das als „Glückshormon“ bekannte Dopamin beeinflusst zwar hormonell den Blutdruck. Seine Wirkung auf die Laune entfaltet es allerdings als Neurotransmitter. Der wirkt ebenfalls als Botenstoff, nur nicht im Blut, sondern zwischen benachbarten Nervenzellen im Gehirn.
Testosteron Der Herakles
Jähzornig, kraftvoll und immer eine Keule dabei: Testosteron stärkt Muskeln und Knochen und lässt dem männlichen Körper Penis, Hoden, Bart und Körperbehaarung wachsen. Eine spontane Morgenlatte oder viel Lust auf Sex? Testosteron kann der Grund sein. Das als Männerstoff bekannte Hormon ist ebenso für den weiblichen Körper notwendig, wenn auch in geringerem Maße. Zum Beispiel für die Libido: Nehmen Frauen die Pille zur Verhütung, wird der Eierstock blockiert und auch die Testosteronproduktion. Die Lust geht flöten. Aggressiv und dominant macht es, so der Mythos. Was bei Schimpansen nachgewiesen wurde, ist bei Menschen aber noch unklar. Gleichzeitig zeigen Forschungsergebnisse nämlich, dass das Hormon großzügiger und sozialer machen soll. Hat Herakles seinen Musiklehrer, seine Frau und seine Kinder vielleicht doch aus Großmütigkeit erschlagen?
Östrogen Die Türsteherin
An unfruchtbaren Tagen ist der Schleim der Gebärmutter wie die Schlange vorm Berghain: zäh und undurchlässig. Östrogene sorgen dafür, dass er dünnflüssig wird und Spermien passieren können. Der Muttermund öffnet sich – der Weg zur Tanzfläche ist frei. Beim weiblichen Körper lassen die Hormone Vulva, Gebärmutter, Eierstock, Eileiter und Brüste wachsen. Sie signalisieren dem Gehirn, wenn eine Eizelle reif ist – der Eisprung wird ausgelöst. Auch der männliche Samen reift mithilfe von Östrogen. In den Wechseljahren sinkt der Östrogenspiegel. Die Tanzlaune aber nicht.
Progesteron Das Zimmerpersonal
Jeden Monat wird die Gebärmutter besser vorbereitet als die Imperial Suite im Hotel Adlon: Progesteron entfaltet und durchblutet die Schleimhaut. Ihre Zellen sind bereit, einen Embryo mit Nährstoffen zu versorgen und die Körpertemperatur steigt. Kommt kein Gast, zieht das Hormon sich zurück und die Menstruation setzt ein. Auch Männer haben das sogenannte weibliche Sexualhormon. Bei ihnen macht das Hormon die Spermien beweglich und fähig, in eine Eizelle einzudringen.
Insulin Der Chauffeur
Diskret sorgt es dafür, dass Zucker vom Blut in die Zelle gelangt. Essen wir Kohlenhydrate, werden diese zu Glucose. Sobald der Blutzuckerspiegel dann steigt, fährt Insulin den Wagen vor. In die Zellen geschleust stellt Zucker Energie zur Verfügung. Bei Diabetiker*innen wird zu wenig Insulin produziert oder die Zellen sprechen schlechter darauf an – Smart statt Limousine also.
Thyroxin Der Networker
Kennt einfach jeden im Laden. Thyroxin reguliert Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-System und wirkt auf die Kolleg*innen Insulin, Wachstums- und Sexualhormone ein, es regt die Nebennieren an, beeinflusst den Atemrhythmus und fördert das Wachstum bei Kindern. Hauptsächlich kümmert sich das Schilddrüsen-Hormon so darum, dass der Körper genug, aber nicht zu viel Energie hat. Wo da noch Zeit zum Drucken von Visitenkarten bleibt? Keine Ahnung.
Somatropin Die Mama
Somatropin zieht uns groß. Das Hormon lässt Kinder wachsen – bei viel davon schießen sie in die Höhe, bei wenig bleiben sie eher klein. Bei Erwachsenen formt es schöne Muckies und baut Fett ab, weswegen Leistungssportlerinnen und Bodybuilder gerne mal nach Ergänzungsmitteln mit Somatropin greifen. Ausgeschüttet und aktiv wird das Hormon vor allem bei Nacht, wenn wir längst schlafen: Knöpfe annähen, Brote schmieren, zudecken.
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