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Hausbesuch beim Geist

Blaumeiers vor einem Jahr wiederbelebtes Fotoprojekt bleibt mit seiner Werkschau „Kosmonauten“ analog wie eh und je – wird aber deutlich exemperimenteller

Raumstation am Güterbahnhof: mit analogen Kameras und handgemachter Tricktechnik untersuchen Blaumeiers Fotograf*innen private und öffentliche Räume Foto: Florian Runge

Von Jan-Paul Koopmann

Dafür, dass die Kuratorinnen konsequent von Porträts sprechen, sind erstaunlich wenige Menschen auf den Fotos. Das heißt: präsent sind sie irgendwie schon, weil sie deutliche Spuren in diesen schwarz-weißen Stillleben aus persönlichen Gegenständen und Lebensräumen der unsichtbaren Modelle hinterlassen haben.

Zwölf solcher Serien sind über das vergangene Jahr im neugestalteten Fotolabor von Blaumeier entstanden. Und das inklusive Kunstprojekt hat nicht nur eine Reihe neuer Teilnehmer*innen, auch ästhetisch hat sich viel getan. Statt der früher starken Orientierung an klassischer Fotografie dokumentiert die neue Ausstellung am Güterbahnhof vor allem eine große Lust am Experiment.

Blaumeier-Urgestein Carl F. arbeitet mit Kameras, die er auf Flohmärkten aufgestöbert und teils umgebaut hat. Es bleibt ein Rätsel, wie er breite Filme in zu kleine Kameras gefriemelt hat. Aber es funktioniert.

Klar ist das Spielerei, allerdings eine mit künstlerischem Mehrwert: F.s Bilder wirken wie nachbearbeitet, der Filmstreifen selbst wird sichtbar und in ihrer überlagerten Unschärfe werden Alltagsbeobachtungen wie ein schnödes Fenster zum Ausgangspunkt für ein komplexes Dreiecksspiel zwischen Technik, öffentlichem und privatem Raum.

„Kosmonauten“ haben die Projektleiterinnen Wiebke Emmerich und Franziska von den Driesch die Ausstellung genannt. Nicht nachträglich als abschließende Klammer der zwölf Positionen, sondern von Anfang an, als Frage. Der Titel trifft auf mehreren Ebenen: Persönliche Gegenstände wie Nahrungsmittel, Nippes oder Gardinen umkreisen die abwesende Person ja tatsächlich wie Trabanten ihre Himmelskörper im All, eröffnen aber auch je deren eigenen Kosmos, wenn man so will.

Noch so ein Universum wäre schließlich auch Blaumeier selbst. Ein Fotograf, der sich Theo­bild nennt, hat den Blaumeier-Maskenspieler Jürgen Bartels besucht und die verschiedenen Böden seiner Wohnung abgebildet. Er hat kleine Zettel darauf gelegt, die in Schreibmaschinenschrift feldforscherhaft dokumentieren: „Wohnzimmer“, „Dachboden“ oder „Dusche“. In einer anderen Reihe porträtiert Tonia Sperling die Schauspielerin Melanie Socher, wie sie scheinbar mit ihrem Kostüm – einer Hotelpagenjacke – verschmilzt.

Abstrakter sind die Arbeiten von Florian Runge, der in und um den Güterbahnhof fotografiert hat: die Eisenbahnbrücke, Stahlträger und undefinierbare Industriegerippe. Seine Technik ist so simpel wie wirkungsvoll. Runge hat die Kamera für Doppelbelichtungen modifiziert, stellt sie für den zweiten Schuss aber auf den Kopf. Und während sich Detailaufnahmen und Spuren der ehemaligen Hallennutzung zu einer sonderbaren Figürlichkeit verdichten, weiten sich auch hier die Assoziationsräume stetig. Wahrscheinlich auch, weil Runge aus der freien Hand fotografiert und dank der Verschiebung keine strenge Symmetrie entsteht.

Blaumeiers ohnehin legendäres Improvisationstalent kommt bei den Kosmonauten voll zur Geltung. Weil nie klar wird, wie dieser oder jener Effekt den händischen Entwickler*innen gelungen ist, entsteht ein irrealer, aber eigenartig schlüssiger Gesamtzusammenhang. Und obwohl diese Arbeitsweise extrem aufwendig ist, wie Franziska von den Driesch einräumt, will man bei Blaumeier auch künftig nicht nur weiter analog arbeiten, sondern den Part in der Dunkelkammer noch intensivieren.

Abgeschlossen ist aber auch dieses Projekt noch nicht: Im kommenden Jahr wird die „Kosmonauten“-Werkschau im Rathaus zu sehen sein – bis dahin erscheint auch ein Buch, das die Fotoarbeit dokumentiert und sich ganz ausdrücklich auch als Porträt des Blaumeier-Kosmos’versteht.

Ausstellung bis 7. 7., Güterbahnhof, Tor 40

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