„Ich habe kleine Hände“

Seit 1987 lebt und spielt die Jazzpianistin Aki Takase in Berlin. Ein Gespräch über die Traditionen des Jazz, den Jazzort Berlin und Pianisten mit großen und kleinen Händen

Aki Takase wurde 1948 in Osaka in Japan geboren und wuchs in Tokio auf. Seit 1987 lebt sie in Berlin. Ihre neue Band heißt Japanic, mit der sie eben die Platte „Thema Prima“ veröffentlicht hat. Im Jahr 2018 erhielt sie den Jazzpreis, der in diesem Jahr an Axel Dörner geht. Beim Besuch in ihrer Wohnung trifft man auf eine vor Energie sprudelnde, humorvolle Frau. In einem gut gedämmten Nebenzimmer, das sie „die Gummizelle“ nennt, komponiert gerade ihr Mann, Alexander von Schlippenbach. Nach dem Gespräch, sagt sie, werde sie sich ebenfalls zum Arbeiten in diesen Raum begeben Foto: Anja Weber

Interview Andreas Hartmann

taz: Frau Takase, Jazz erlebt gerade ein Revival bei jungen Musikhörern, ist wieder hip und Festivals wie XJazz sind gut besucht. Bekommen Sie als Veteranin davon etwas mit?

Ja, ich freue mich sehr darüber. Die jüngeren Leute interessieren sich für Jazz und genauso spiele ich gerne mit jungen Musikern. Auch Berlin als Jazzstadt ist sehr interessant geworden, interessanter als früher. Das Publikum bei Konzerten in Berlin ist inzwischen recht gemischt, Besucher sind zwischen 20 und 80 Jahre alt. Frauen sind genauso darunter wie Männer. Und es gibt viele gute Orte zum Spielen.

Wo in Berlin spielen Sie gerne?

Beispielsweise im A-Trane in Charlottenburg, im B-Flat in Mitte oder im Sowieso in Neukölln. Das sind alles sehr gute Venues und es gibt noch einige mehr. Aber die Möglichkeiten zum Auftreten sind für mich ja eher beschränkt. Ich bin Pianistin, ich brauche einen Club, in dem ein Flügel steht, und kann nicht überall einfach spielen, so wie beispielsweise ein Saxofonist.

Sie spielen gerne mit jüngeren Musikern, sagen Sie. In Ihrer neuen Band Japanic, mit der Sie eben eine Platte herausgebracht haben, sind Sie mit Ihren 71 Jahren tatsächlich eindeutig die Älteste.

Das stimmt, die anderen Bandmitglieder sind wie meine Söhne.

Einer davon sogar beinahe sprichwörtlich. DJ Illvibe alias Vincent von Schlippenbach ist der Sohn Ihres Mannes Alexander. Er sorgt bei Japanic für die elektronischen Klänge und bedient die Turntables. Nebenbei ist Illvibe ein bekannter HipHop-Produzent. Mögen Sie HipHop?

Ich interessierte mich nicht so sehr für HipHop, aber ich kann mir schon vorstellen, dass die jungen Leute von einer solchen Verbindung von Rhythmus und Sprache fasziniert sind.

Einen Namen hatte sich Illvibe als ehemaliger DJ der Berliner Dancehall-Combo Seeed gemacht. Wie finden Sie die?

Die habe ich mir, ehrlich gesagt, noch nie gehört. Aber ich kenne deren Sänger, Peter Fox. Der war schon oft hier bei uns zu Hause. Er ist ein sehr guter, sehr freundlicher Typ.

Sie sind eine Größe des ­europäischen Jazz, leben seit über 30 Jahren in Berlin. Wie groß ist noch Ihre Verbundenheit zu Japan, wo Sie geboren wurden?

Ich fahre zwei bis drei Mal im Jahr nach Japan. In Osaka habe ich auch eine Wohnung. Deutschland ist meine Heimat, Japan aber auch. Nach Möglichkeit und wenn ich das organisiert bekomme, etwa Dank der Unterstützung durch das Goethe-Institut, bringe ich bei meinen Besuchen in Japan auch meine liebsten Musiker aus Europa mit. Etwa Han Bennink, Rudi Mahall oder Louis Sclavis. Mein Mann war mit seinem Trio erst vor Kurzem auch wieder mit in Japan. Ich zeige dort gerne, was jazzmäßig so passiert in Deutschland und in Europa, das ist mir schon sehr wichtig.

Wenn Sie in Japan sind, machen Sie dort auch Urlaub?

Urlaub in Japan? Das ist schwer. Es sind zu viele Leute in dem Land. Wenn ich Urlaub machen möchte, fahre ich lieber nach Thailand. Ich habe ein Klavier in meiner Wohnung in Osaka stehen und komponiere dort die meiste Zeit.

Sie sind Improvisationsmusikerin, bauen Ihre Stücke jedoch auf Kompositionen auf, kann man das so sagen?

Komponieren ist bereits komprimierte Improvisation. Ich brauche ein kleines Thema als Ausgang für meine Komposition, vielleicht drei Takte, um im Kopf eine Richtung für die Musik zu entwickeln. Die Improvisation ist dann nicht mehr überlegen, sondern Moment nach Moment zu spielen. Gleichzeitig miteinander interagieren, das ist für mich Improvisation.

Sie sagen, Sie brauchen einen Input, um eine Komposition zu entwickeln. Woher kommt der?

Das können unterschiedliche Anregungen sein, auch Bilder und Bücher. Deswegen arbeite ich nicht nur mit Musikern zusammen, sondern auch gerne mit Tanzprojekten oder mit Lyrikern.

Sie kommen in Ihrer sehr modernen, sehr freien Musik immer wieder gerne zurück auf die Klassiker des Jazz. Auf Fats Waller, Duke Ellington, Thelonious Monk zum Beispiel. Wie wichtig ist Ihnen die Jazztradition?

Sehr wichtig. Man kann immer noch viel Fundamentales und Wesentliches durch diese Musik lernen. Ich finde aber auch die klassische Musik wunderbar. Hauptsache, gute Musik, würde ich sagen, egal aus welcher Richtung. Mein größter Einfluss ist aber wohl Conlon Nancarrow, ein amerikanischer Komponist aus den Zwanzigern, der mit mechanischem Klavier gearbeitet hatte. Bei diesem treten verschiedene Tempi und Rhythmen gleichzeitig in seinen Stücken auf. Diese Idee hat mich sehr geprägt, und so wie Nancarrow wollte ich es auch auf meiner Platte mit Japanic machen.

Wenn der Ehemann auch ein berühmter Jazzpianist ist, gibt es da auch mal Konkurrenz? Oder gar Neid, vielleicht wenn der andere die besseren Gigs an Land gezogen hat?

Nein, zwischen uns gibt es keine Konkurrenz. Wir sind sehr unterschiedlich. Alexander ist vom Typ her zu 150 Prozent Deutscher, ich bin 150 Prozent Japanerin. Deswegen spielen wir auch interessant zusammen Klavier. Wir beide musizieren auf 88 Tasten, die uns zur Verfügung stehen, aber dabei bewegen wir uns in unterschiedliche Richtungen. Dazu kommt: Er hat große Hände, ich habe kleine, spiele deswegen Akkorde mit kleineren Intervallen. Konkurrenz gibt es bei uns höchstens beim Kochen. Wir kochen beide sehr gerne. Er gerne Deutsch, ich lieber Japanisch.

Größter Einfluss ist Conlon Nancarrow mit seinem mechanischen Klavier

Mit dem Älterwerden: Wird man da besser oder schlechter am Piano?

Je älter man ist, desto spannender wird es. Musik ist kein Sport. Sie kommt vom Kopf und vom Gefühl. Ich finde mich heute noch besser als früher. Klar, ich bin 71 Jahre alt und keine 20-jährige Frau mehr. Körperlich ist das ein großer Unterschied. Aber ich bin heute lockerer, ich kann am Klavier leichter alles an Emotionen und Gefühlen aus mir herausholen.

Aber Ihr Spiel ist physisch und technisch anspruchsvoll. Lässt da die Kraft nicht irgendwann ein wenig nach?

Technik gehört dazu, sicherlich, aber ich will sie ja gar nicht zeigen, sie ist eher Mittel zum Zweck. Ich möchte etwas sagen durch meine Musik. Und im Alter bin ich bin mir einfach sicherer darin, was genau ich sagen möchte.

Und das ständige Touren als Musikerin, ist das nicht strapaziös?

Manchmal gibt es in den etwas kleineren Jazzclubs keine richtige Garderobe, das ist für mich als Frau ein Problem, aber damit kann ich leben. Und in Deutschland haben die Züge sehr oft Verspätung, das ist für Musiker generell sehr anstrengend.

Zumindest dieses Problem haben Sie in Japan nicht.

Das stimmt. Dort sind die Züge tatsächlich immer pünktlich.