Der Tabubruch muss erträglich sein

Theologe und Humor-Experte Eike Christian Hirsch über Schrecken, Befreiung und Gott im Witz

taz: Was unterscheidet einen guten von einem schlechten Witz?

Eike Christian Hirsch: Der gute Witz berührt ein Tabu – und zwar auf eine Weise, die der Hörer mit einem kleinen Schrecken quittiert und dann erleichtert reagiert. Weil es eben nur ein kleiner Schrecken und der Tabubruch gerade noch erträglich war – und sich der Schrecken in Nichts auflösen konnte.

Beim schlechten Witz ist also der Schrecken zu groß.

Da wird das Tabu so groß, dass man gekränkt ist. Oder der Witz ist so schwach, dass er eben verpufft, weil es läppisch wird oder man nicht betroffen ist. Es ist wie bei der Impfung: Man darf daran nicht krank werden, dann ist es sehr nützlich. Es ist eine Dosierung, die einen eher immunisiert. Und da die meisten Menschen ja mit einer geheimen Angst leben oder sich mit der Übertretung von Grenzen zurückhalten, ist eine solche kleine Grenzüberschreitung, bei der der Schrecken nur von kurzer Dauer ist, eben sehr erheiternd. Das Lachen ist ein Ausdruck der Befreiung.

Keiner von Schadenfreude?

Nein. Die Theorie „Schadenfreude“ war eine deutsche Theorie. Vor mehr als 100 Jahren war sie sehr verbreitet. Schadenfreude ist sehr selten, kommt im Witz eigentlich nicht vor und ist nicht das Motiv – es sei denn, dass man darüber lacht, dass man selbst nicht so dumm ist. Dann ist es aber nicht Schadenfreude, sondern eine Befreiung: Bei Dummenwitzen lacht man darüber, dass man selber davongekommen ist.

Manche Witze sind schlicht langweilig.

Weil sie nicht treffen. Man muss schon ein bisschen gepackt sein bei dem, was einem wichtig ist.

Gibt es deswegen so viele Witze über Religion?

Ja. Religion war ein großes Thema und ist es auch manchmal noch. Und von dieser Allgewalt, als die man sich Gott vorstellt, muss man sich natürlich auch befreien. Das ist oft nicht so einfach, da rächt man sich dann ein bisschen an seinem so genannten Bodenpersonal: Da geht das dann schon einfacher. Das Religiöse ist eine Macht, und der Witz lehnt sich gegen eine Macht auf und verstößt mit einem Scherz gegen ein gewisses Tabu.

Darf man Witze über andere machen? Über andere Religionen, andere Ethnien?

Das geht natürlich immer, solange es noch einigermaßen gutmütig ist. Am besten geht es allerdings über die eigene. Da ist man auch viel ungenierter. Ich kann als Christ über einen Moslem oder über Allah keinen Witz machen – weil mich das nicht trifft. Das ist alles zu weit weg. Man muss schon mit den Sachen handeln, die einen selbst betreffen.

Droht dem Witz das Aus durch die political correctness ?

In den USA spricht man bereits davon. Wir lachen nicht mehr über die Dummen, nicht mehr über die Schwarzen, nicht mehr über Minderheiten, schon gar nicht mehr über irgendwelche Behinderungen. Über Blondinen zu lachen, ist schon stark daneben, und die Ostfriesen mussten auch vor allem früher herhalten – es wird knapp. Der Verhaltenskodex wird strenger. Wer traut sich dann schon, in einer Runde gar, noch einen Witz zu erzählen, wenn er gewärtig sein muss zu hören: „Finde ich nicht sehr geschmackvoll!“

Sie selbst hätten keine Bedenken, Blondinenwitze zu reißen?

Na, ich hab’ die nicht gemacht, ich fand die auch alle nicht so furchtbar gut. Aber ich hätte keine Schwierigkeiten dabei. Eine blonde Frau müsste eigentlich wissen, dass die Blondine ein Klischee ist. Lebende Personen sind nie gemeint.

Man darf also doch Witze über andere machen?

Ich denke schon. Es gibt natürlich eine Form von aggressivem Witz, da kann man dann mal zu weit gehen. Aber Witze haben ja eine Verwandtschaft zum Humor, und der ist an sich gutmütig. Der Verlachte müsste eigentlich mitlachen können. Das schönste Beispiel sind die jüdischen Witze, die haben die Juden ja über sich selbst erzählt – und konnten darüber am meisten lachen. Dass sie als geizig, als unverlässlich, oder als schmutzig galten … das war alles nicht der Fall, aber sie fanden diese Verspottung doch sehr komisch.

Kann es sein, dass uns als Europäern der muslimische Humor sehr fremd vorkommt?

Es reizt uns ja nicht, weil ja nicht unsere eigene Großmutter hier verhöhnt wird, und wir selbst schon gar nicht. Dann ist der Reiz weg. Man muss sich da wohl sehr hineindenken.

Interview: Armin Simon