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auscontainertFalscher Kult um altes Essen

Essen wegwerfen gilt als neue Todsünde unserer Zeit. Auch wenn Hamburgs grüner Justizsenator Till Steffen gerade mit seinem Vorstoß scheiterte, das „Containern“, das Plündern von Supermarkt-Mülltonnen, zu legalisieren, sind im Grunde alle von der Mission der Lebensmittelrettung überzeugt. Eine Dänin gilt gar als „nationale Ikone“ (Bento), weil sie ihr Land vom Pfad der Verschwendung abbrachte, unter anderem mit Ideen wie: Sie sollten mal eine Einkaufsliste schreiben oder vor dem Einkauf ihren Kühlschrank fotografieren.

Abgesehen davon, dass letzteres ein cooler Tipp ist: Es trifft ein bisschen den Kern meines Problems. Die Frage ist: Was handeln wir uns mit diesem Anspruch eigentlich gerade ein?

Ich bekenne, ich habe schon oft gammligen Brokkoli oder schimmeliges Zaziki in die Tonne geworfen. Den Einkauf so zu planen, dass nichts schlecht wird, ist nicht mein Ehrgeiz. Ich müsste permanent den Kühlschrank umkreisen, dazu fehlt mir die Zeit. Denn ich bin keine hauptamtliche Hausfrau. Dieser Beruf ist quasi ausgestorben.

Das Essen-nicht-wegwerfen-Dogma ist auch ein Aufmerksamkeitsfresser. Die Dänin wird zitiert, Essensverschwendung sei „respektlos“ gegenüber Natur, Mensch und Tier. Doch die Fixierung auf restlosen Verbrauch – das Aufdrängen von Speisen – kann auch grenzverletzend und respektlos sein.

Ich kaufe schon mal zu viel ein und ich propagiere das Im-Zweifel-Wegwerfen. Denn besser, Nahrung landet in der Tonne als im Magen eines Mitmenschen, der satt ist und nicht essen will. Wer Kinder nötigt aufzuessen, produziert Essstörungen. Ich entsorge auch bereitwillig Essensreste von Älteren, die nichts wegwerfen können, weil sie nach dem Krieg Hunger erlitten.

Welkes Gemüse

Dass junge Leute nachts losziehen, um welkes Gemüse aus Supermarkt-Mülltonnen zu befreien – so Zeugs lag morgens auch bei uns schon mal auf dem Küchentisch –, ist als symbolische Aktion gegen Verschwendung okay. Sie zu kriminalisieren, ist nie gut, da hat Steffens recht. Andererseits lockt vielleicht gerade der Reiz der Regelverletzung. Denn das ist Containern zweifelsfrei. Müll ist ekelerregend. Dieses Gefühl verhindert, dass wir Dinge essen, die uns schaden können.

Wird Containern Normalität, wäre das ein politischer Skandal. Denn haben Menschen es nötig, Essen aus Abfall zu nehmen, fehlt ihnen schlicht das Geld, um in Würde zu leben. Kaija Kutter

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