Auf dem Love Boat mit einer Mädchen-Wundertüte
: Bloß nicht aufmachen!

VON JENNY ZYLKA

Welch eine Woche voller Nonplusultrae. Schon der Mittwoch war spitze, weil wir zur Eröffnung der Berlin Music Week zwei Stunden lang auf einem Love Boat über das Wasser schippern konnten und dazu ganz unterschiedliche Livemusik anhören durften. Eine größere Herausforderung, als man ahnt, denn es ist der Kern einer jeden Schiffspartieparty, dass man nicht von Bord gehen kann, wenn einem der Sound unangenehm ins geschmackssichere Sonnengeflecht zwickt, es sei denn, man ließe sich kielholen. Immerhin ankerte die Spreenixe gegen 21 Uhr sicher am Halleschen Ufer unter der malerischen „Teuer hat hier Hausverbot“-Domänen-Kulisse, während „Me & my drummer“ spielten, und wenn es nicht so pickepackevoll gewesen wäre, hätte ich endlich mal fragen können, ob sich der Esel im Englischen eigentlich auch immer zuerst nennt.

Stattdessen quollen wir durch sauren Wein medioker milde gestimmt aus der Dschunke in die freundliche Nacht und gleich weiter zur Music-Week-Eröffnungsparty inklusive Radio-Eins-Jubiläum im Tempodrom. Auf der Britta, die Nominierte des diesjährigen Radiopreises in der Kategorie „Innovation“, von ihrem Karen-Millen-Kleid erzählte, das sie am nächsten Tag bei der Preisverleihung anzöge, und – wie praktisch – damit gleich schon die Donnerstagabendgestaltung vorgab: Fernsehen und warten, dass Britta aufgerufen wird. Sie wurde es leider nicht, und so bleibt das Kleid ein Geheimnis – was wiederum ganz gut ist, denn Maurice Chevalier hat einmal gesagt: Eine Frau ohne Geheimnisse ist wie eine Blume ohne Duft, und wenn einer so etwas weiß, dann ja wohl Kavalier Chevalier.

Den ganzen Freitag begleitete einen das Radio mit Music-Week-Berichterstattung, sodass wir am Samstag mit dem seltenen Gefühl, absolut nichts verpasst zu haben, zur Art-Brutal-Bingo-DJ-Show mit Eddie Argos und Psycho Jones im White Trash stolpern konnten, und um das Wortspiel auch für Oma Kasuppke zu erklären: „Art Brut“ heißt die fantastische Band von Eddie Argos, da liegt so ein passendes Suffix nicht fern. Da ich dazu neige, das Glas halbvoll zu sehen, freute ich mich sogar, dass der Laden ziemlich leer war und unsere Gewinnchancen damit stiegen, anstatt mich darüber zu ärgern, dass die ignoranten HauptstädterInnen lieber die Sommernacht auf den Straßen genießen und nicht in einem dunklen Keller ein ominöses Britische-Seniorinnen-mit-Zickenbrillen-Spiel erlernen wollten, während Granatenbands wie Thee Headcotees aufgelegt werden.

Die Glückszahlen 5-17-88-23-6 verschafften mir folgerichtig problemlos den zweiten Hauptpreis, eine vom aus dem Meenzerischen stammenden Psycho selbst gestopfte Wundertüte für Mädchen, auf der „Ja nie aufmachen“ stand. Natürlich ignorierten wir das in alter Punk-Manier und amüsierten uns den Rest des Abends herrlich mit den gefühlt 10.000 Umsonst-Goodies: Wunderkerzen, Wattestäbchen, Waden-Massage-Pflegelotion-Proben, abgelaufene Flyer aus Psychos Mainzer Club, Zucker- und Pfefferportionsbeutel, eine Knallerbse, sogar ein vermutlich und hoffentlich ungebrauchter Zahnseidestick und eine Hausflur-Postwurfsendung, die zu einer Möbelladeneröffnung in Mainz einlud – dagegen muss so eine Berlinale-L’Oréal-Tüte erst einmal anstinken.

Zahnzwischenraumgereinigt und wadengepflegt wankte ich spätnachts noch schnell rüber ins Bassy, wo die Rhythm and Beat Organisation ihren 100. Geburtstag feierte, und das Gute an dieses fidelen Merry-Prankster-Kommune ist ja, dass man sich nie mit ihr langweilt, weil immer neue – in diesem Fall auch viele alte – Leute mitmachen.

Irgendwann rief ich, angefixt durch mein neues Lieblingsglücksspiel, ganz laut „Bingo!“, aber das ging glücklicherweise in einem psychedelischen Orgelsolo unter. Und blieb damit mein Geheimnis.