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ERLEBNISRAUM KINO Eine Veranstaltung in der Akademie der Künste beschäftigte sich mit Fragen nach der Zukunft von Film und Kino im Zeitalter der Digitalität

Vor einigen Jahren haben relativ zeitnah mehrere technologische Entwicklungen eingesetzt, die Einfluss darauf nehmen, wie wir das Medium Film neu definieren. Eine dieser Entwicklungen ist sicherlich das Aufkommen des hochauflösenden und dadurch kinotauglichen HD-Videoformates – ein Pionier in der Anwendung dieser Technologie ist der amerikanische Regisseur Michael Mann. HD erlaubt es, Kinofilme digital zu drehen und somit als Einsen und Nullen zu speichern: als Informationen und nicht mehr als Fotografien. Gleichzeitig ermöglicht es das immer schneller werdende Medium Internet mittlerweile, jene digitalen respektive digitalisierten Filme für praktisch jeden zu jedem Zeitpunkt zugänglich zu machen und durch Verlinkung mit Texten und anderen Bewegtbildern zu verknüpfen. Auf diese Weise können die Rezeptionsmöglichkeiten von Film von etablierten Vertriebswegen abgekoppelt werden.

Unter dem Motto „Zukunft Kino“ wurden am Wochenende in der Akademie der Künste Szenarien entworfen, wie ein Kino der Zukunft wohl aussehen könnte, wobei auf den Erlebnisraum Kino in diesem Zusammenhang erstaunlich wenig eingegangen wurde, da der Fokus zumeist auf das Kino als Sehgewohnheiten konstituierende Institution gerichtet war. Der Kulturwissenschaftler Stefan Heidenreich versuchte durch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte von Film und Kino Erkenntnisse über die Zukunft zu gewinnen. In seiner Argumentation ging er von einer These Marshall McLuhans aus, derzufolge sich ein neues Medium zunächst an seinem Vorgängermedium abarbeiten muss: so wie vor knapp einhundert Jahren das Kino am Theater.

So spannend Heidenreichs Ausführungen, etwa über den um 1910 herum in Dänemark aufgekommenen Langfilm, auch waren, die entscheidende Frage, warum genau sich was wann etabliert hat, blieb weitgehend außen vor. Dabei wäre doch gerade dies Ausgangspunkt einer Analyse gewesen: Welche ökonomischen Interessen, gekoppelt an welche technischen Entwicklungen haben welche ästhetischen Formen hervorgebracht?

Danach stellten Bert Rebhandl und Ekkehard Knörer, beide auch für die taz tätig, ihre Filmzeitschrift und Internetplattform Cargo vor. In ihrem Beitrag ging es vornehmlich um die Auswirkungen von neuen Rezeptionsgewohnheiten, die sich ganz konkret im Format von Cargo niedergeschlagen haben. Anders nämlich als die meisten deutschsprachigen Filmzeitschriften sowie weite Teile des Feuilletons, die sich primär an den Kinoneuheiten abarbeiten, hat Cargo das Wahrnehmungsspektrum auf sämtliches verfügbares Filmmaterial erweitert. Diese Erreichbarkeit von Filmen jenseits des durch das Leitmedium Kino konturierten Diskursraumes lenkt den Blick auf das Medium Film in einem globaleren Zusammenhang: abgekoppelt von Marktbedingungen, die dem einen Werk den Weg in die Kinos ebnen, dem anderen jedoch nicht.

Für 25 Pfund Filme machen

In „Expanding the Cinematic“ warf der Autor und Regisseur Matt Hanson einen Blick auf Möglichkeiten des Filmemachens im digitalen Zeitalter. Die erste Hälfte seines Vortrags, in dem er Genres jenseits des Mainstreams abklapperte, brachte allerdings wenig Neues. Die These etwa, dass Videoclips innovativer seien als Spielfilme, überraschte nicht wirklich. Auch die übrigen Beispiele Hansons vermochten nicht recht zu überzeugen: Letztendlich können eben weder die obskuren Webprojekte eines Peter Greenaway noch die mittlerweile ein wenig altbacken daherkommenden Machinima-Clips – im Prinzip neu vertonte Videospiele – als Beispiele für innovatives Filmemachen herhalten.

Interessanter war da Hansons kollaborativ organisiertes Filmprojekt „A Swarm of Angels“, in dem er nach Wegen sucht, wie ein Filmemachen jenseits von ökonomischen Zwangsehen mit Produktionsfirmen aussehen könnte. In vielerlei Hinsicht funktioniert sein Projekt ähnlich wie Open-Source-Software: Zahlreiche User arbeiten parallel an einem Werk, die Hierarchien sind flach, jeder tut das, was er am besten kann. Über wesentliche Plot-Points im Drehbuch wird demokratisch abgestimmt. Finanziert wird die Produktion ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge. So kann jeder für 25 britische Pfund zum Filmproduzenten und zum Filmemacher werden. Gleich hier und jetzt.

ANDREAS RESCH