Die Sache mit Darmstadt

Mit Abstandsgrün zur Marke Bauhaus: Ein Symposium an der Akademie der Künste versuchte sich an der Relativierung von Mythen und Dogmen

Roman Clemens mit der Rekonstruktion einer Arbeit aus dem Vorkurs von Josef Albers, gezeigt in der Ausstellung „Bauhaus: eine Ausstellung von Idee und Arbeit, von Geist und Leben am Bauhaus 1919–1928 und bis 1933“, Mathildenhöhe Darmstadt, 1961 Foto: Nachlass Pit Ludwig/Sammlung Hauck, Darmstadt

Von Ronald Berg

Die Berliner Akademie der Künste war im Januar als Ort des Eröffnungsfestivals zum 100.Bauhaus-Geburtstag in Erscheinung getreten. Mit den Inhalten und der Organisation hatte sie aber nichts zu tun. Beim selbstorganisierten Bauhaus-Symposium vom letzten Wochenende konnte man daher zu Beginn unbeschwert darüber klagen, dass kritische Positionen zum Bauhaus im offiziellen Jubiläumsprogramm kaum auftauchen.

Sonderlich kritisch wurde es auf dieser fast ausschließlich mit Akademie-Mitgliedern besetzten Tagung aber doch nicht. Mit Ausnahmen. Vor allem der Architekt Winfried Wang machte das Bauhaus für die „Fehler im Städtebau“ von heute verantwortlich. Die Moderne hätte sich die „Verbesserung der Lebensverhältnisse“ zum Ziel gesetzt, das Ergebnis sei allerdings „Trostlosigkeit“ etwa in Gestalt von „freistehenden Einfamilienhäusern mit minimalem Abstandsgrün im Speckgürtel“ der großen Städte. Dieses „Bauen ohne Anspruch“ hätte Hannes Meyer, von 1928 bis 30 zweiter Direktor des Bauhauses, mit seinem Verzicht auf die künstlerische Seite des ­Bauens propagiert: „bauen ist nur organisation“, hieß es bei Meyer.

Alles Schlechte am Bauhaus festzumachen mutete aber doch etwas naiv an. Immerhin hatte Kunsthistoriker Wulf Herzogenrath am Anfang der Tagung noch einmal seinen aktuellen Buch­titel erläutert: „Das bauhaus gibt es nicht.“ Das ist bei den vielen ideologischen Phasen des Bauhauses und den unterschiedlichen Personen an der Schule nicht falsch. Dass es schon deshalb keinen Bauhaus-Stil gegeben haben könne, geht an der Wirklichkeit allerdings vorbei. Schließlich könne sich jeder unter Bauhaus-Stil etwas vorstellen, meinte Architekt Winfried Brenne. Daher auch die problematische Bezeichnung des Städtebaus von Tel Aviv als Bauhaus-Architektur, wie Brenne in seinem Vortrag erläuterte.

Dass das Bauhaus mit seinem kubischen Architekturstil zu einem Inbegriff der klassischen Moderne geworden ist, scheint heute vielen als Verarmung. Der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt führte etwa vor, dass es in Deutschland parallel zum Bauhaus viele Schulen gegeben habe (Breslau, Halle, Frankfurt/Main, Essen, Stuttgart u. a.), die ähnlich modernistisch aufgestellt waren, die aber ihr „Markenprofil“ nicht in der Art schärften, wie Gründungsdirektor Walter Gropius es mit seinem Bauhaus betrieb.

So manche Kardinalfrage musste am Ende das Publikum stellen

Die beste Art, das Bauhaus zu kritisieren, sei es, die Schule zu relativieren, meinte der Architekturhistoriker Werner Durth. Er führte am Beispiel Darmstadts vor, wie stark Gropius selbst noch nach seinem Tod 1969 wirkte. Darmstadt hatte nach 1945 Ambitionen, zur Kulturhauptstadt zumindest von Hessen zu werden. Das ursprünglich dort ansässige Bauhaus-Archiv zog 1971 nach Berlin um, Geburtsort des Bauhausgründers. In Darmstadt empfand man das als feindliche Übernahme. Aber offenbar wollte sich Berlin mit den hauptsächlich aus Gropius’ Privatbesitz stammenden Bauhaus-Reliquien schmücken und ließ sich die Sache etwas kosten. Darmstadt konnte nicht mithalten.

Das Bauhaus sei international gewesen – diese These war eine der Schienen, auf denen die Tagung in der Akademie lief. Die Vorstellung sämtlicher Tschechen am Bauhaus von Vladimír Šlapeta geriet aber zu wenig mehr als einem langem Name-Dropping. Die Darstellung der Rezeption des Bauhauses in Frankreich und der UdSSR übernahm Kunsthistoriker Jean-Louis Cohen. Frankreich interessierte sich nicht sonderlich für den früheren Weltkriegsgegner, anders als das postrevolu­tionäre Russland. Durch die stalinistische Wende der dreißiger Jahre kam die moderne Bewegung in der Sowjetunion aber zum Erliegen. Thomas Flierl schilderte seine neuesten Forschungsergebnisse zu Hannes Meyer, der 1930 nach Moskau gegangen war. Anders als bisher angenommen, soll Meyer aber nicht 1936 aus der UdSSR geflohen sein, sondern war als eine Art Agent dafür bestimmt, die russischen Ansichten in die Welt tragen, so Flierl. Dass KP-Mitglied Meyer nach dem Krieg in der DDR nicht zu Amt und Würden kam, lag an der dortigen Verdammung des Bauhauses als kapitalistisch.

Insgesamt verliefen die Diskussionen auf dieser Tagung wenig strukturiert. Gerade die Frage, ob das Bauen nun eine künstlerische oder eine organisatorische Angelegenheit wäre oder ob man die ganze Lebensgestaltung in der Moderne als Systemfrage begreifen müsse, solche Kardinalfragen mussten aus dem Publikum gestellt werden. Nur wurden sie von den Akademiemitgliedern nicht beantwortet sondern im Klein-klein erstickt. Eine wirkliche Bauhaus-Debatte fand nicht statt.