Harald Keller Der Wochenendkrimi: Leitmayrs Biografie wird um eine Surfer-Phase ergänzt – das knirscht, aber nicht vor Sand
Seit 1991 observieren wir sporadisch die Lebenswege der Münchener Kriminalpolizisten Ivo Batic und Franz Leitmayr. Erst jetzt aber erfahren wir, dass Franz als Twen halbherzig dem Surfsport frönte, in eine Dreierbeziehung verwickelt war und als Folge davon vielleicht Vater sein könnte. Nicht nur Kollege Ivo staunt. Frida de Kuyper (Ellen ten Damme), die Herzensdame seiner Jugend, stellt die berechtigte Frage, warum der Polizist Leitmayr nie polizeiliche Mittel genutzt hat, um Fridas Verbleib zu erkunden.
Der Franz hat die Frida ebenso aus den Augen verloren wie den damaligen Surf-Kumpel Mikesch (Andreas Lust). Obwohl alle drei in München wohnen. Nun aber kreuzen sich ihre Wege. Mikesch, immer noch auf dem Brett unterwegs, wurde niedergestochen. Franz und Ivo ermitteln, was als Einstieg mal lobenswert ist, weil sich mittlerweile allseits die irrige Überzeugung festgefressen hat, dass ein Krimi zwingend immer mit einem Mord zu beginnen habe. Dieses Tatopfer also lebt. Noch halb betäubt, erkennt Mikesch den ergrauten Franz eher als der ihn.
„Tiefe Wunde“ und „lebensbedrohliche Lage“ besagt das ärztliche Bulletin. Trotzdem rappelt sich Mikesch wenig später hoch, springt halsbrecherisch wie Belmondo ist seinen besten Zeiten vom Dach in einen ganz zufällig sehr passend bereitgestellten Wäschebehälter, und wer angesichts dieses Unfugs noch nicht aussteigt, wird Zeuge weiterer Kabinettstücke.
Eine schnurrige Koinzidenz: Gerade vor einer Woche zeigte das ZDF mit „München Mord: Leben und Sterben in Schwabing“ einen subtilen, diskursiven Krimi über den Wandel eines Münchener Stadtviertels und über die Frage, ob man dem Fortschritt folgen oder sich treu bleiben sollte. Da gibt es nur ein Für und Wider, nur Kompromisse statt eindeutiger Antworten. Die „Tatort“-Autoren Alex Buresch und Matthias Pacht aber machen es einfacher. Anders als beim rundum stimmigen ZDF-Film ist hier erkennbar alles Konstrukt, wobei es mehrfach spürbar knirscht in der erzählerischen Mechanik.
Vergeben wird die Gelegenheit, durch entsprechendes Geschichtsbewusstsein zusätzliche Reize einzubauen. Nehmen wir nur Leitmayrs Musikgeschmack – die erste Episode von 1991 gibt darüber Auskunft, und es klang anders als die nostalgischen Szenen heute. Und, einmal verdreht betrachtet, das erlittene Liebesleid muss den Strandjungen seinerzeit binnen Kurzem in einen Yuppie-Schnösel mit Porsche verwandelt haben. Sollen wir das glauben?
München-„Tatort“: „Die ewige Welle“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
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