Brigitte Werneburgschaut sich in Berlins Galerien um:
Ein Kunstwerk mit denkbar größter Öffentlichkeit ist in Berlin unterwegs. In den Straßen der Stadt. Folgt man ihm, wie am Samstag vom Atelier des Malers und Bildhauers Thomas Scheibitz, wo das Meisterwerk entstand, nach Mitte ins Brandlhuberhaus, wo es ausgestellt wurde, um abends auf einer lauschigen Party gebührend gefeiert zu werden, dann beobachtet man wie die Leute auf der Straße, Fußgänger wie Autofahrer, staunen. Endlich sieht mal ein Auto richtig gut aus, denkt auch die Kritikerin, die an Autolackierungen schon mal einiges auszusetzen hatte. Nicht an Bernd Heusingers BMW i8 mit Plug-in-Hybridantrieb, der nach Werksangaben gerade mal auf kombinierte CO2-Emissionen von 42g pro Kilometer kommen soll. Vorlage war ein kleines Gemälde von 2017, das Scheibitz dreidimensional auf das Auto seines Freunds und Sammlers projizierte. Wirklich erstaunlich im Detail und aufmerksamkeitsheischend im Großen und Ganzen.
Derart vorbelastet, erinnert man sich, dass Raphaela Vogel, die gerade bei BQ ausstellt, parallel dazu im Münchner Haus der Kunst ihre Installation „A Woman’s Sports Car“ zeigt, mit kanariengelbem Sportwagen, einem Triumph Spitfire von 1981, aus dessen Scheinwerfern gleich zweimal diese verrückte kugelige Welt projiziert wird, die auch in Berlin zu bestaunen ist. Hier unter dem Titel „Vogelspinne“ freilich nur einmal, wobei der Videoscreen, auf dem man die – wieder mal – Akkordeon spielende Künstlerin auf einem wellenumtosten Felsen beobachtet, wie ein Bauch in Metallstangen hängt, die wie Spinnenbeine in den Raum ausgreifen. Paarige Surf-Segel kleben wie Schmetterlingsflügel an den Fenstern und Milva singt „Ich hab keine Angst“ während die Filmkamera-Drohne dröhnt. Eine tierisch gute Veranstaltung (bis 6. 7., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Weydingerstr. 10).
Die wirkliche Sensation an diesem kunstsensationellen Wochenende sind aber die 16 E-Gitarristinnen, die am Samstagabend im Rahmen des Performance Programms „Disapearing Berlin“ Julius Eastmans „Gay Guerrilla“ zur Aufführung brachten – in der 22. Etage des früheren Postbank Hochhauses am Halleschen Ufer. Das vom Schinkel Pavillon initiierte Programm lenkt über ein Jahr hinweg die Aufmerksamkeit auf besondere, vom Verschwinden bedrohte Berliner Orte. Die Musikerinnen haben sich über einen open call zusammengefunden, um sich das anspruchsvolle und unkonventionelle Stück aus dem Jahr 1979 unter der Leitung von Maya Shenfeld zu erarbeiten. Grandiose 30 Minuten – begleitet von einem ebensolchen Sonnenuntergang über Berlin (siehe Seite 15).
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