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Ausgelacht vom Frauenarzt

Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper hört bei Frauen auf, wenn sie sich sterilisieren lassen möchten. Vor allem junge und kinderlose Frauen müssen in Deutschland lange suchen, bis sie ÄrztInnen finden, die den Eingriff vornehmen

Bei der Sterilisation durchtrennen oder verschließen ÄrztInnen die Eileiter. Eine natürliche Schwangerschaft ist dann nicht mehr möglich Foto: Science Photo Library/imago

Von Elena Everding

Als Laura 14 Jahre alt war, hörte sie den Satz von ihrem Frauenarzt zum ersten Mal: „In zehn Jahren werden Sie Kinder wollen!“ Da hatte sie ihn gerade nach einer Sterilisation gefragt, weil sie sich sicher war, dass sie keine Kinder bekommen möchte. „Es gab für mich niemals ein ‚Vielleicht‘“, erzählt die heute 24-Jährige in einem Café in einer hessischen Stadt. Sie studiert dort Germanistik. Bis heute hat sie niemanden gefunden, der den Eingriff vornimmt. Aus diesem Grund will sie auch nicht ihren Nachnamen nennen, aus Angst, dass sie dadurch ihre Chancen weiter schmälert.

Eine Sterilisation ist in Deutschland bei Frauen und Männern erst ab 18 erlaubt, sonst gibt es keine Gesetze oder Richtlinien. „Mein Arzt hat mich damals überhaupt nicht ernst genommen“, erinnert sich Laura. „Zum Teil verstehe ich das auch.“ Aber dass sie diese Erfahrung jetzt, zehn Jahre später, immer noch machen muss, hätte sie nicht gedacht. „Manche reagierten fassungslos, andere haben mich ausgelacht.“

Durch eine Sterilisation wird eine Frau unfruchtbar, weil ihre Eileiter verschlossen oder durchtrennt werden. Der Eingriff kann nur durch eine aufwendige Operation rückgängig gemacht werden, für die es aber keine Erfolgsgarantie gibt. Sterilisierte Frauen können immer noch durch eine künstliche Befruchtung schwanger werden.

Laura würde die Gründe für ihren Wunsch gerne den Ärztinnen darlegen, doch dazu habe sie nie die Chance bekommen, sagt sie. Seit sie elf ist, quälen sie bis zu zwei Wochen im Monat starke Unterbauchschmerzen, nur enorme Dosen Schmerzmittel helfen. „Wenn ich meine Tage habe, liege ich heulend im Bett oder kippe auch mal vor Schmerzen um.“

Sie richtet ihren Alltag komplett nach ihrem Zykluskalender aus. Ein normales Leben ist so kaum möglich, ihr Studium leidet darunter.

Laura will sich auf Endometriose testen lassen, bei dieser Krankheit wächst Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle. Ihr Frauenarzt sieht hierfür aber nicht genügend Anzeichen. Um die Schmerzen in den Griff zu bekommen, möchte Laura bei der Sterilisation auch eine Ablation, eine Ausschabung der Gebärmutterschleimhaut, vornehmen lassen. „Aber auch ohne die Schmerzen würde ich mich sterilisieren lassen wollen“, sagt Laura, „das glauben mit die ÄrztInnen nur leider nicht.“

Jüngere Frauen ohne Kinder finden selbst nach jahrelanger Suche oft keine ÄrztIn, die sie sterilisiert. Keine 30, noch keine Kinder – dies sind häufig Ausschlusskriterien. ÄrztInnen dürfen den Eingriff jederzeit ablehnen, wenn sie Bedenken haben. Die betroffenen Frauen tauschen sich daher im Internet aus und geben sie sich Tipps: Welche Kliniken sterilisieren auch jüngere Frauen? Mit welchen Argumenten kann ich den oder die ÄrztIn am besten überzeugen? Auch Laura holt sich in Face­book-Gruppen Rat. Ihr Freund unterstützt sie bei ihrem Vorhaben. Die beiden sind seit mehr als fünf Jahren zusammen, er möchte ebenfalls keine Kinder. „Bei jungen Patientinnen unter 30 wird der Arzt in der Regel einem Wunsch nach Sterilisation ablehnend gegenüberstehen, insbesondere, wenn die Frau die Familienplanung noch nicht abschließend beurteilen kann. Partner können sich trennen, Kinder erkranken“, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Es sei schwierig für Frauen, schon mit 30 das Ende ihrer reproduktiven Fähigkeit zu beschließen. Denn Frauen in Deutschland bekommen heutzutage immer später Kinder.

Auch mit über 30 dürfen Frauen oft nicht über ihre Sterilisation entscheiden. „Noch mit 35 sagte mir ein Arzt, dass ich ja noch sehr jung dafür sei“, erzählt Alexandra M., eine Mittdreißigerin aus München. Nun, ein Jahr später, ist sie endlich sterilisiert. Durch ihre Erlebnisse hat sie beschlossen, offen über das Thema zu sprechen und damit auf das Problem aufmerksam zu machen. Denn sie hat fast 15 Jahre um die Sterilisation gekämpft. M. wusste schon immer, dass sie keine Kinder möchte. Dazu kommt bei ihr noch eine starke Angst davor, schwanger zu werden – auch Tokophobie genannt. „Frauen entscheiden sich mit 30, dass sie Kinder haben wollen. Wieso kann ich mich dann nicht entscheiden, keine Kinder zu haben?“, fragt sie. Durch Kinder ändere sich schließlich das ganze Leben, durch Kinderlosigkeit dagegen nichts.

Eine Sterilisation lehnen ÄrztInnen häufig mit der Begründung ab, dass die Frauen auch mit anderen, nicht endgültigen Methoden verhüten können. Auch Lauras Frauenarzt empfahl ihr eine Hormonspirale, obwohl sie bereits durch die jahrelange Einnahme der Pille psychische und körperliche Beschwerden hatte.

„Viele ÄrztInnen sterilisieren Frauen erst ab 30, 35 Jahren“, bestätigt Jutta Pliefke von der Beratungsstelle Pro Familia in Berlin. Rund 700 Euro kostet die Operation, die Krankenkasse zahlt fast nie. Das Thema sei durch die Zwangssterilisationen in Deutschland während des Nationalsozialismus besonders heikel. „18-Jährige können in Deutschland beispielsweise sämtliche Schönheits-OPs machen lassen“, stellt Pliefke fest, „die genauso Auswirkungen auf das ganze Leben haben können.“ Grundsätzlich sollten die Frauen daher auch ein Recht auf eigene Entscheidung bei der Sterilisation haben, findet sie.

ÄrztInnen dürfen den Eingriff jederzeit ablehnen, wenn sie Bedenken haben. Betroffene Frauen tauschen sich daher im Internet aus

Die GynäkologInnen hätten oft mit der Befürchtung argumentiert, sie könnten hinterher von der Patientin verklagt werden, berichtet die Münchnerin Alexandra M.. Der Vorsitzende des Berufsverbandes, Christian Albring, beruft sich auf ein Urteil aus dem Jahr 2002, bei dem die Einwilligung einer Frau für den Eingriff daran scheiterte, dass sie nur gebrochen Deutsch sprach und somit nicht ausreichend aufgeklärt war. Der Arzt wurde vor dem Oberlandesgericht München zu einer Geldstrafe verurteilt.

Doch selbst eine intensive Recherche brachte ansonsten kein Gerichtsurteil zutage, bei dem ÄrztInnen nach einer Sterilisation verurteilt worden. Es scheint hier wie bei allen operativen Eingriffen: Wenn der oder die ÄrztIn umfassend aufklärt, muss er keine rechtlichen Folgen befürchten.

„Irgendwann wollen Sie Kinder, wenn Sie nur den richtigen Partner finden.“ – „Sie können noch gar nicht wissen, was Sie wollen.“ – „Die meisten Frauen bereuen es.“ – „Eine totale Schnapsidee.“ Von solchen Aussagen von FrauenärztInnen berichten zahlreiche Frauen, die sich sterilisieren lassen wollen, in Gesprächen mit der taz. Sie wollen fast immer anonym bleiben wollen. Eine Frau stellt fest, dass Schwangere doch auch nicht ständig gefragt würden, ob sie sich sicher sind, dass sie das Kind bekommen wollen, weil sie es später bereuen könnten.

Auch Franziska Seitz kennt die ablehnenden Sprüche von mehreren FrauenärztInnen. Die 19-jährige ist Mitglied der Childfree-Bewegung und versucht, seit sie volljährig ist, sich sterilisieren zu lassen. Sie erwägt nun, dies im Ausland machen zu lassen. Christian Albring vom Gynäkologen-Fachverband beruft sich auf eine Studie aus den USA, wonach jede vierte Frau die Entscheidung später bereute. Pro Familia spricht dagegen von 10 bis 15 Prozent. In beiden Studien wird allerdings nicht zwischen kinderlosen Frauen und Müttern unterschieden. Eine andere amerikanische Studie, die dies tut, besagt: Kinderlose Frauen bereuen am seltensten den Eingriff, am häufigsten dafür Frauen, die sich kurz nach einer Geburt haben sterilisieren lassen. „Alle Frauen werden über einen Kamm geschoren“, sagt Seitz.

Laura gibt nicht auf. Sie will nicht noch jahrelang warten. Sie wird weiterhin FrauenärztInnen und Kliniken abtelefonieren. „Ich bin mir jedes Jahr sicherer“, sagt sie, „dass ich keine Kinder will.“

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