Das Trauma der Eltern

Im DT wird „Kommt ein Pferd in die Bar“ nach dem Roman von David Grossman auf die Bühne gebracht

Von René Hamann

Man kennt den Witz. Gehört hat ihn der Theatergänger zum Beispiel zum ersten Mal auch von einer Bühne herunter; der Sänger der Indie-Folkband Mountain Goats erzählte ihn während eines Konzerts im Kölner Underground, irgendwann in den ausgehenden neunziger Jahren. Er erzählte ihn auf Englisch: A horse comes into a bar, the bartender says. Und so weiter.

Samuel Finzi erzählt ihn am Sonntagabend auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters nicht. Er ist in die Rolle des Stand-up-Comedians Dov „Dovele“ Grinstein geschlüpft, einem Charakter, den sich der preisgekrönte israelische Schriftsteller David Grossman ausgedacht hat. Die Handlung nach dem Roman von Grossman ist schnell skizziert: An seinem 57. Geburtstag spielt Grinstein in Natanja auf, einem Ort im Norden Israels. Hier liegen seine Wurzeln, auf die er nach einem zynischen, fulminanten Stand-up-Auftakt samt Einbeziehung des Publikums verstärkt zu sprechen kommt. Hilfestellung leistet dabei die junge Pitz, eine Zuschauerin aus dem Saal, die ihn schon als Kind gekannt hat.

Von einer glücklichen Kindheit kann Grinstein nicht reden. Seine Eltern neigten zu häuslicher Gewalt. Beide sind als Überlebende von der Schoah traumatisiert – der Vater hatte noch rechtzeitig die Flucht nach Palästina ergriffen, als ziemlich Einziger einer ehemals großen Familie, die Mutter wurde erst von polnischen Eisenbahnern „versteckt“ und dabei missbraucht, später an der Rampe abgesetzt. Grinstein wächst in Israel als Außenseiter auf, ein Kind, das versucht, auf Händen zu gehen und Witze zu reißen, um insbesondere die Mutter zum Lachen zu bringen. Als er alt genug ist, wird er zu einer militärischen Frühausbildung geschickt. Von dort aus tritt er eine Busreise zu einer Beerdigung an: Einer seiner Elternteile ist gestorben, er weiß nur nicht, welcher. Mutter oder Vater? Welcher Teil wäre ihm lieber? Die Spitze allen Zynismus ist allerdings der Busfahrer, der versucht, den Jungen mit allerhand Witzen von seiner Trauer abzulenken.

Der Humor des zum Stück gewordenen Romans ist selbstredend bitter und von (jüdischem) Selbsthass geprägt. Natürlich kommen auch Fragen nach dem Israel-Palästina-Konflikt und einem jüdischen Selbstverständnis nach der Schoah auf. Die Frage nach der Gewalt ist da eine klassische – aber darum soll es nicht gehen (vielleicht ist im Roman mehr Platz für Tiefenpsychologie). Im Mittelpunkt des Stücks steht die Konstruktion und Dekonstruktion eines gebrochenen männlichen Clowns.

Als Roman ist das alles ein Set-up, das gut in den Stoff zieht, das ist jedenfalls zu vermuten. Auf der Bühne steht Samuel Finzi, dessen osteuropäischer Akzent tatsächlich Sinn macht (die Grinsteins im Roman sind polnische Juden), ziemlich alleine da. Er macht das beste daraus: Mit vollem Körpereinsatz bewältigt er die ohnehin schon zusammengekürzten Textmassen. Kathleen Morgeneyer gibt den einfühlsamen Sidekick, den es durchaus braucht. Auch weil Bühne und die Regie von Dušan David Pařízek recht zurückhaltend bleiben, nur hier und da mit kleinen Einfällen assistieren.

Insgesamt ist das alles eine Spur zu erschlagend, zu lähmend. Das durchschnittlich ältere Publikum weiß mit dem krawalligen Auftakt nicht viel anzufangen. Zum Ende hin wird die Stimmung düsterer, wobei man die eine oder andere Unglaublichkeit schlicht überhört, weil sie sich durch eine entstandene Langeweile arbeiten muss: zu viel Text, zu wenig Regie, zu harter Bruch. Für Finzi ist dieser Abend eine Gelegenheit, seine ganze Schauspielkunst zu zeigen. Das Pferd aber macht am Ende ein langes Gesicht.

Wieder am 22. und 27. Mai