berliner szenen
: Walter White oder Benjamin

Der Hausarzt hatte mir empfohlen, bei der Magenspiegelung auf die Betäubung zu verzichten. Der Blick in den eigenen Magen sei bezaubernd schön. Für diese Aussicht könne man sogar das würgende Gefühl im Hals ertragen. Ich denke aber gar nicht daran, auf legal verabreichte Drogen zu verzichten. Schlimm genug, dass meine gute krebskranke Mutter die Opiate, die sie zum Glück nun doch nicht braucht, vorschriftsmäßig von der Apotheke entsorgen lässt. (Wenn man sie im Klo herunterspült, verstrahlen sie das Grundwasser – das muss gutes Zeug sein!)

Also kann ich nicht in Mutterns Hausapotheke wildern. Aber wenn ich schon auf die derzeitigen Trenddrogen verzichten muss, werde ich mich wohl mal auf Kosten der Krankenkasse ausknipsen lassen dürfen. Ich meine, wofür zahle ich jeden Monat? In der Praxis im Bayerischen Viertel zeigt man mir die Folterwerkzeuge. Ich unterschreibe was. Dann bekomme ich eine Spritze. Dann versinkt die Welt um mich. Es ist herrlich.

Ich soll bis zehn zählen. Aber offenbar habe ich im beginnenden Rausch irgendwas von Walter White gefaselt, wie die Arzthelferin, die mich nach der Untersuchung wie einen gehbehinderten Rentner ins „Aufwachzimmer“ führt, später amüsiert berichtet. Bevor ich auf eine Liege sinke, habe ich sie anscheinend noch instruiert, mich um 12 Uhr zu wecken, als wäre ich mit Graf Koks zum Lunch im Adlon verabredet. Ach, Drogen sind doch was Herrliches.

Auf den Fotos sieht mein Magen wirklich nice aus, wie der Wüstenplanet nach einem Regenguss. Solang man solche Assoziationen hat, kann man in Schöneberg in jeder Hauseinfahrt ein übersehenes Mysterium entdecken und sich wie Walter Benjamin fühlen. Denn mit dem Fahrrad heimfahren darf ich erst in zwei Stunden. Tilman Baumgärtel