Nils Schuhmacher
Hamburger Soundtrack
: Millionen tote Hansjürgens

Das ging schnell. Nachdem gestern die Runde der lustig-andeutungsreichen Bandnamen mit Oidorno eingeleitet worden war, scheint sie nur vier Tage später mit Kal Marks (29. 4., Schute Wilhelmsburg) auch schon wieder zu Ende gedreht. Eine gute Gelegenheit allerdings, sich frisch gestärkt den Aktivitäten anlässlich des 1. Mais zuzuwenden.

1. Mai, war da was? „Kal Marks“ kann darauf leider nur indirekt Antwort geben. Als die nordamerikanische Arbeiterbewegung am 1. Mai 1886 zum Generalstreik aufrief, war der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker bereits seit drei Jahren tot. Aber sein Konterfei findet sich natürlich ganz verlässlich auf den entsprechenden Demonstrationen. Genau dies ist bei „Oidorno“ nicht zu erwarten, der sich zeitlebens vom Straßenprotest in etwa so weit entfernt hielt wie von den Arbeiterinnen und Arbeitern.

So erschöpft sich sein Bezug zu diesem Tag auf einen Brief, den er am 1. Mai 1945 an seine Eltern schrieb. Unter anderem wurde darin angemerkt: „Alles ist eingetreten, was man sich jahrelang gewünscht hat, das Land vermüllt, Millionen von Hansjürgens und Utes tot.“ Das klingt erwartbar forscher, als er es später formuliert hätte. Entsprechend wenig Anlass besteht, sich auf diese Sätze heute ein Ei zu backen.

Genauso verhält es sich auch mit dem Titel der neuesten Platte von Robert Forster (1. Mai, Knust). Er lautet nämlich „Inferno“, aber dies ist nicht auf den Tag bezogen, nicht einmal als ein im engeren Sinne politisches Statement zu verstehen, die es bei Forster ohnehin nicht abzuholen gibt.

Im Übrigen ist der Titel auch musikalisch nicht programmatisch. Forster, ein Teil der australischen Go-Betweens, macht einfach nur dort weiter, wo die leiseste New Wave-Band der Welt 2006 nach dem Tod von Grant McLennan aufgehört hat. Klaus Walter fragte in dieser Zeitung anlässlich einer der Vorgängerplatten – etwas ironisch –, ob das nicht alles „cheesy wie Hölle“ klinge. Auch er würde heute aber wohl weniger direkt formulieren und es vielleicht einfach Altersmilde nennen. Es muss ja auch nicht jeder ein „1. Mai“ sein.