Wahlkämpferinnen in ständiger Angst

In Afghanistan sind bei den Parlaments- und Regionalwahlen im September ein Viertel der Sitze Frauen vorbehalten.Doch nur etwa zehn Prozent der KandidatInnen sind weiblich. Sie werden massiv bedroht, berichtet Human Rights Watch

VON BEATE SEEL

In Afghanistan hat der Wahlkampf für die Parlaments- und Regionalwahlen am 18. September begonnen. Im Unterhaus des Parlaments in der Hauptstadt Kabul und in den Provinzräten gilt eine Frauenquote von 25 Prozent. Doch verhältnismäßig wenige Frauen haben sich um einen Sitz beworben.

Landesweit treten 5.805 Personen an, um in das 249-köpfige Parlament oder in einen der 34 Provinzräte mit insgesamt 420 Sitzen einzuziehen. Unter den 2.707 Parlamentskandidaten sind 328 Frauen, was einem Anteil von etwa 12 Prozent entspricht. Noch schlechter sieht es bei den Provinzwahlen aus. Unter den 3.025 regionalen Kandidaten sind lediglich 247 Frauen, also rund 8 Prozent.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) führt dies in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht auf den Druck zurück, der von lokalen Kommandanten ausgeübt wird, und den restriktiven gesellschaftlichen Normen. Im unsicheren Süden und Osten des Landes blieben aus Mangel an Kandidatinnen fünf der Sitze in den Provinzräten leer.

Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Monaten trifft Kandidatinnen in besonderem Maße, denn die Taliban und andere radikalislamische Gruppen lehnen die Teilnahme von Frauen am politischen Leben ab. Mehrere haben bereits Drohungen erhalten, einige die Kandidatur zurückgezogen. „Sicherheit ist für Frauen und Männer unterschiedlich“, sagt eine Parlamentskandidatin aus der Region Kandahar gegenüber HRW. „Die Plakate von männlichen Kandidaten hängen überall im Bazar. Frauen können das nicht machen, weil sie Angst haben. In der Nacht könnte jemand kommen und sie umbringen. Alles kann passieren. Warlords haben die Macht.“

Andere Kandidatinnen gehen jedoch das Risiko ein: „Ich muss mein Foto drucken, damit mich die Leute kennen. Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber ich habe keine andere Möglichkeit“, sagt eine Parlamentskadidatin. Die meisten Frauen können sich keine bezahlten Leibwächter für den Wahlkampf leisten. Einige lassen sich von männlichen Verwandten und einer Gruppe anderer Frauen begleiten.

Das Reisen im Wahlbezirk ist ein zusätzliches Problem. Im Vergleich zu Männern sind Frauen nicht nur unbewaffnet, sondern auch größerer physischer Gefahr ausgesetzt. „Für Frauen ist es oft viel riskanter, die Öffentlichkeit zu erreichen“, erläutert Nisha Varia von HRW. „Sie stoßen auf größeren Widerstand, wenn ihr Gesicht auf Wahlplakaten erscheint oder bei Ansprachen in konservativen ländlichen Gebieten. Viele Frauen betreiben wegen der unsicheren Lage nur einen beschränkten Wahlkampf.“

Human Rights Watch fordert daher die Regierung in Kabul und die internationalen Beobachter auf, die Kandidatinnen vor Angriffen und Einschüchterungsversuchen durch die Taliban und die Warlords zu beschützen.

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