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Sie haben es nicht verkackt!

Zum 40. Jubiläum der ersten regulär erschienenen Ausgabe übernahmen rund 50 jungen Menschen unter 24 Jahren für einen Tag die taz. Ein taz-Mann der allerersten Stunde durfte sie bei ihrem Tun beobachten. Eine Liebeserklärung

Die Jugend von heute, das taz U-24-Team Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Von Michael Sontheimer

Der Konferenzsaal im ersten Geschoss des taz-Gebäudes ist überfüllt. In dem hohen Raum drängen sich über 100 Menschen, an die 50 von ihnen „u24“, unter 24 Jahre alt. Die Jungen haben an diesem Tag die Redaktion übernommen. Die reguläre taz-Belegschaft assistiert nur auf Aufforderung.

Die Sonne scheint in den Saal; es ist ein besonderer Tag. Heute vor genau 40 Jahren erschien die erste tägliche Ausgabe der taz. Die stellvertretende Chefredakteurin Barbara Junge begrüßt die Gäste und stellt einen Kollegen vor, der damals auf dem Kurfürstendamm die erste tägliche taz-Ausgabe verteilt hat und heute wieder für das Blatt arbeitet.

Aber was hat die taz von damals noch mit der taz von heute gemein? 40 Jahre sind ein halbes Leben. Ich gehörte damals zu den vielen Gründerinnen und Gründern der taz, war gerade 24 geworden und arbeitete in der Ökologie-Redaktion, als wir am 16. April 1979 in einer Fabrik-Etage in Berlin-Wedding die erste tägliche Ausgabe der taz produzierten. Etliche von uns waren ebenfalls Jahrgang 1955, obwohl auch Ältere dabei waren, Achtundsechziger aus Frankfurt oder der Anwalt Christian Ströbele. Damals waren mindestens zwei Drittel der taz-Redaktion männlich, allesamt nur Deutschdeutsche. In der U24-Redaktion sind es mehr Frauen als Männer, eine Muslima mit Hidschab ist dabei, mehrere mit dunkler Haut. So divers, wie das Land mittlerweile geworden ist. Die Stimmung ist konzentriert und freundlich.

Bitte nicht nur Katastrophen

Bei einer morgendlichen Vorbesprechung der Aktuellen, die für die ersten Seiten verantwortlich sind, fragt Judith, 23, Studentin aus Augsburg, mit gegrünten punkigen Haaren: „Ist was voll Krasses passiert oder packen wir uns selbst auf die erste Seite?“

Thilo, 23, im Hauptberuf Gewässerprobennehmer, trägt auf der großen Konferenz die Nachrichtenlage vor. „Greta Thunberg besucht den Papst. Verkehrsminister Scheuer verlangt Steuererleichterungen für Bahntickets. Trump ist gegen einen Truppenabzug aus dem Jemen, aber das ist furchtbar kompliziert.“ Er – kräftig, mit Brille und Vollbart, bedächtig und wortgewandt zugleich – sagt dann: „Die Welt ist nicht nur schlecht, sondern auch gut.“ – „Bringen wir mal was Positives, nicht nur Katastrophen“, pflichtet ihm ein Schüler bei. „Es geht uns eigentlich ganz gut“, sagt eine Studentin. „Und wir müssen die Zeit nutzen, dass es weiter gut geht.“

Ein eklatanter Unterschied zu der taz-Gründergeneration: Wir hielten die Welt für schlecht. Für furchtbar schlecht. Die Kriege überall, der Kapitalismus, die Ausbeutung, die Frauenunterdrückung, die Umweltzerstörung. Wir gründeten eine Zeitung, weil wir die Welt radikal verändern wollten. Wir waren rebellisch, dabei gesegnet mit der Arroganz der Adoleszenz. Von der U24-Redaktion arbeiten nur etwa ein Fünftel in einer politischen Gruppe, wir taz-Gründer taten dies ausnahmslos, sahen auch die taz-Initiativen als linksradikale politische Gruppe. Die Zeitung war für uns ein Werkzeug für die politische Veränderung.

Wir hatten vage, radikale Ansprüche, aber die erste Ausgabe der taz am 17. April 1979 kam auf der Seite 1 sehr konventionell daher: „Erdbeben in Jugoslawien“, „Neue Verhaftungswelle im Iran“ und „Havemann wird ausgehungert“ waren die drei großen Berichte. Die U24-Redakteur*innen hingegen haben ein positives Verhältnis zum Selfie-Journalismus. „Die Ausgabe repräsentiert letztendlich einfach uns“, erklärt Isabella in einem Editorial. Auf die Seite 1 sollen keine Nachrichten kommen, sondern eine Ansprache an die Älteren. Auf der Titelkonferenz am Mittag stellt Thilo zwei mögliche Alternativen für die Schlagzeile vor.

„Ihr habt es verkackt!“ oder „Habt ihr es verkackt?“. Die Mehrheit der rund 25 Anwesenden votiert für die zweite Variante. Ihr, das sind älteren Generationen. Dazu vier oder fünf kurze Kommentare, mit Ja, Nein oder Jein sollen sie anfangen. Klima, Rente, Feminismus, Politik, Europa. Judith, die Studentin der angewandten Sprachwissenschaften aus Augsburg, ist in die U24-Redaktion geraten, weil ihre Eltern im Allgäu immer die taz gelesen haben. „Eure Generation war viel politischer“, sagt sie. „Aber ihr hattet auch meist Eltern, an denen ihr euch abarbeiten musstet.“ Sie ist mit ihrem Freund von Augsburg nach Schanghai getrampt und schreibt darüber einen langen Bericht. Manchmal macht sie sich Vorwürfe, dass sie politisch nicht aktiver ist.

Die politischen Aussagen der Jungen sind teils erstaunlich. „Das stagnierende politische deutsche System braucht Leader“, fordert Yasmine. Auf den Kulturseiten sagt eine junge Berlinerin: „Ich bin stolz polnische Eltern zu haben (…) Ich bin stolz, blaue Augen zu haben.“

Von der U24-Redaktion arbeiten nur ein Fünftel in einer politischen Gruppe, wir Gründer taten dies ausnahmslos

Lucia, 19, Studentin der Agrarwissenschaften aus Stuttgart, ist Aktivistin bei Fridays for Future. „Junge Leute erleben gerade, dass ihre Stimme gehört wird“, sagt sie. Aber sie befürchtet auch, dass ihre Bewegung von den Medien kurz gehypt und dann ignoriert wird. Lucia hätte sich das Machen einer Tageszeitung hektischer und dramatischer vorgestellt. Es sei „fast ein bisschen langweilig“. Die meisten hätten schon fertige Artikel mitgebracht. In er Tat läuft die Produktion wie am Schnürchen.

Aya, 17, Schülerin aus Berlin, findet es „megainteressant“ in der taz. Sie sagt, es war „super, dass wir so eine Freiheit hatten.“ Sie ist vor sechs Jahren aus Ägypten eingewandert und hat „über das Leben als Muslima in Deutschland“ geschrieben. Sie hatte befürchtet, dass wegen ihres Kopftuchs Redaktionskolleg*innen denken oder sagen könnten: „Was ist denn das für eine unterdrückte Kameltreiberin‘“. Manche hätten sie auch wegen ihres Kopftuchs angesprochen, aber aus Interesse. „Wir haben uns dann gut unterhalten.“ Aya will unbedingt Pathologin werden und für das Bundeskriminalamt arbeiten. Polizisten bezeichneten wir taz-Gründer*innen vor 40 Jahren regelmäßig als „Bullen“. Immer wieder klagte die Staatsanwaltschaft deshalb Redakteure wegen Beleidigung an.

Als wir vor 40 Jahren die erste Nummer machten, fühlten wir uns unter starkem Druck. Wir hatten keine Ahnung, kein Geld und wussten nicht, ob es die Zeitung in einem Jahr überhaupt noch geben würde. Wir hatten für die erste Nullnummer fünf Tage gebraucht und hatten noch nie innerhalb eines Tages eine Ausgabe produziert. Es klappte dann, weil es klappen musste. Als damals alle zwölf Seiten fertig waren, rollte ein Layouter einen Joint, den wir zur Feier des Tages rauchten. Die U24-Redaktion trinkt nach getaner Arbeit ein Bier oder einen Wein; rauchen tut ohnehin kaum mehr jemand.

Auf Seite 1 der Jubiläumstaz steht ganz unten: „Die Jugend von heute wird die Rettung von morgen.“

Na dann legt mal los.

Die Texte der U24-taz nachlesen:www.taz.de/40

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