heute in bremen: „Es fehlen Kontinuität und Visionen“
Libuse Cerna, 65, ist seit zehn Jahren Vorsitzende des Bremer Rates für Integration.
Interview: Simone Schnase
taz: Frau Cerna, Grundlage für die heutige Diskussion ist ein 20-seitiger Forderungskatalog des Bremer Rates für Integration. Welche Punkte sind hier die wichtigsten?
Libuse Cerna: Bildung, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt. Schon seit Jahren fordern wir beispielsweise, dass interkulturelle Kompetenzen in der Ausbildung und in Fort- und Weiterbildungen von LehrerInnen verpflichtend vermittelt werden, aber leider geschieht das bisher nur auf freiwilliger Basis. Und leider wissen wir, dass an diesen Angeboten nur wenige teilnehmen.
Was muss sich bei der Integration an Schulen verbessern?
Der Blick auf die SchülerInnen ist immer defizitär: Man schaut darauf, was sie nicht können. Dabei wird in der Wirtschaft immer mehr Gewicht auf Kreativität und Flexibilität gelegt – diese Qualitäten werden im schulischen Bereich aber nicht abgefragt. Auch der Diskriminierungsschutz muss verbessert werden.
Inwiefern?
Viele Bremer Schulen verfügen über kein explizites Beschwerdemanagement für Diskriminierungen; geeignete Konzepte müssen dringend implementiert und verpflichtend umgesetzt werden. Wir fordern bereits seit Jahren eine unabhängige Anti-Diskriminierungsstelle.
Wie sieht es mit Anlaufstellen im außerschulischen Bereich aus?
Es gibt mit der Arbeitsstelle gegen Diskriminierung und Gewalt an der Uni nur eine einzige Beratungsstelle, die sich mit Diskriminierung jeder Art auseinandersetzt – die allerdings nur für die Bereiche Hochschule und öffentlicher Dienst zuständig ist. Ein Angebot für Betroffene in der Arbeitswelt oder im Privatleben fehlt in Bremen gänzlich.
Dabei hat Bremen sich schon 2012 verpflichtet, Diskriminierung tiefgreifend zu bekämpfen.
Das Problem ist ja immer das Geld: In Bremen wird sozusagen von der Hand in den Mund gelebt.
An welchen Stellen macht sich das noch bemerkbar?
Podiums-diskussion „Resonanz der Kulturen – Integration in Bremen“ mit Carsten Sieling (SPD), Maike Schaefer (Grüne), Sofia Leonidakis (Linke), Magnus Buhlert (FDP), Heiko Strohmann (CDU): 18 Uhr, Theater am Goetheplatz, Foyer
Zum Beispiel in den Stadtteilen. Wir fordern multifunktionale Stadtteilzentren, um gleichberechtigte, interkulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
Aber dafür gibt es doch das Programm „Wohnen in Nachbarschaften“ (WIN).
Die Mittel für die WIN-Projekte müssen immer wieder neu beantragt werden. Auch die Mittel für kulturelle Angebote sind immer zeitlich begrenzt und müssen immer wieder neu beantragt werden. Es fehlen Planungssicherheit, Kontinuität und Visionen.
Heute Abend diskutieren die SpitzenkandidatInnen der Parteien – warum ist die AfD nicht dabei?
Wir haben weder die AfD noch die BIW eingeladen, weil beide nicht in Fraktionsstärke in der Bürgerschaft sitzen – und ich hoffe, das bleibt auch in Zukunft so.
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