piwik no script img

Die queere Discomaschine rockt

Hot Chip, die großen Indie-Disco-Männer, sind womöglich die besseren Depeche Mode. Am Samstag waren sie „ready for the floor“ und beglückten mit ihrem Klangbällebad die Crowd im Columbiatheater

Von René Hamann

Die Klasse von 2009 fand sich Samstagabend bei Hot Chip ein. Ex- oder Immer-noch-Hipster, die über die Jahre etwas zugenommen haben und deren Kleidungsstil erkennbar schlichter geworden ist, viele Pärchen, vielerlei Sexualitäten. Das Columbiatheater am Columbiadamm war seit Wochen ausverkauft, denn es schien klar: Die Band aus London ist immer noch eine Bank. Sie ließen ein wenig auf sich warten, bestätigten danach aber nonchalant und äußerst souverän ihren Status als 1a-Disco-Band mit dem gewissen Anspruch. Man kann es auch so sagen: Hot Chip spielten, das Theater tanzte. Das Thea­ter war beglückt.

„I know every single / We play tonight / Will make the people / Just bathe in the light“, hob Sänger Alexis Taylor, der wie zwei seiner insgesamt sechs Bandkollegen in weißem Maleroutfit erschienen war, mit dem Auftaktstück „Huarache Lights“ an. „Am I so truthful / Or in truth / Is the youth just getting old?“ Ist es das, was geblieben ist? Eine Jugend, die älter geworden ist? Schwung war jedenfalls noch genügend da. Und Hot Chip waren eine Discomaschine, die, als sie einmal lief, reibungs- und erbarmungslos bouncte.

Erstaunlich ist, wie viele Hits diese Band im Laufe der Zeit schon hatte. Sie spielten sie fast alle; überhaupt gab es vielleicht ein, zwei Stücke, die man als „Filler“ bezeichnen konnte; meist waren das etwas zu gefühlige Downtempo-Balladen, eine der wenigen Schwächen der Band. Die echten Hits hingegen, diese radiotauglichen Überpopnummern, die sie am Samstag in überraschenden, mal ausufernden, mal verspielten neuen Versionen darboten, rockten das Haus: „Boy From School“, „Ready for the Floor“, „One Life Stand“, „Over and Over“ – Airplay und Abwechslungsreichtum. Eine der besten Bands der Nullerjahre spielte hier auf, vielleicht sogar die beste. Es ist ein merkwürdiges Zeitphänomen, dass eine Band wie Depeche Mode auch mit schwächeren Stücken es regelmäßig an die Spitze der Charts schaffen, während die zeitgemäßere Dance-Pop-Band mit Indie-Anstrich gerade einmal einen Top-10-Hit hatte, und das auch nur im UK („Ready for the Floor“ natürlich, Platz 6 im Jahr 2008). Vielleicht waren Hot Chip für die ganz große Masse doch eine Spur zu queer oder einen Hauch zu hip? Oder nicht dark genug? Obwohl auch sie ihre Wurzeln in den dunkleren Tanzmusiken der achtziger Jahre haben. Man denke an Joy Division und New Order. Als Einlaufmusik ließen Hot Chip denn auch „Life’s What You Make It“ von Talk Talk laufen, als Reverenz an den kürzlich verstorbenen Mark Hollis.

Ändern wird sich am Status der leicht unterschätzten Popband vermutlich nicht viel. Die neue Single „Hungry Child“ ist sleazy Housepop und nicht so catchy wie die Hits der Vergangenheit, das neue Album soll im Juni kommen und „A Bath Full of Ecstasy“ heißen. Was natürlich ein geiler Slogan ist, der andererseits schon auf eine Primal-Scream-Platte von 1995 oder so gepasst hätte.

Wobei am Samstag auch klar wurde, dass Hot Chip live noch viel besser funktionieren als auf Platte – es ist die Varianz, die den Remix miteinspeist, die den Unterschied macht, weniger das Liveschlagzeug oder das Zusammenspiel von Taylor und seinem Counterpart Joe Goddard. Hot Chip gaben sich als Großformat, als siebenköpfige Tanzmaschine, die in der Zugabe sogar vor einer Coverversion von „Sabotage“ von den Beastie Boys nicht haltmachte. Ein Bad in der Menge, ein kleines Bad in Ekstase, bevor man sich wieder in die unendliche Schlange vor der unterirdischen Garderobe einreiht. „Replace us with the things / That do the job better.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen