crime scene: Unter Schafen: Leonie Swanns lustiger und literarisch anspielungsreicher Tierkrimi „Glennkill“
1841 veröffentlichte Edgar Allan Poe mit „Die Morde in der Rue Morgue“ die erste Detektivgeschichte überhaupt. Obwohl Auguste Dupin darin einen Menschenaffen eines Gewaltverbrechens überführt, wird die Bedeutung von Tieren innerhalb der Kriminalliteratur bis heute seltsamerweise unterschätzt: „Ein krimineller Orang-Utan ist allenfalls für Zoologen von Interesse“, meint etwa der Germanist Peter Nusser, der mit „Der Kriminalroman“ eine einschlägige Überblicksdarstellung der Gattung verfasst hat.
Schaut man sich allerdings die Metaphorik der detective story an, die vom „Animalischen“ des Verbrechens bis zum „Instinkt“ des Ermittlers reicht, könnte man meinen, dass gewisse tierkundliche Grundkenntnisse bei der literaturwissenschaftlichen Forschung doch von Vorteil sein könnten. Vielleicht ließe sich damit sogar das Erfolgsgeheimnis der so genannten Katzenkrimis lüften, die sich immer noch erstaunlich großer Beliebtheit erfreuen. Rita Mae Brown hat mittlerweile zwölf Romane rund um die getigerte Mrs. Murphy geschrieben, Carol Nelson Douglas und Lilian Jackson Brown liefern Jahr für Jahr neue Abenteuer mit ihren „samtpfötigen“ Helden Midnight Louis und Koko, und auch Akif Pirincci, der 1989 mit dem ersten deutschen Katzenkrimi „Felidae“ bekannt wurde, ist mit „Salve Roma“ beim fünften Kater-Francis-Band angekommen. Wer es sich unbedingt antun will: Das Taschenbuch erscheint in diesen Tagen.
Leonie Swanns Debüt „Glennkill“ verspricht nun Abwechslung. Laut Untertitel handelt es sich um einen „Schafskrimi“. Und der geht so: Eines Morgens liegt der irische Schäfer George tot im Gras. Der Täter kann nur ein Wolf gewesen sein, da sind sich seine Schutzbefohlenen vollkommen sicher. Erst als Miss Maple – „das klügste Schaf von Glennkill“ – dem Rest der Herde überzeugend darlegt, dass selbst äußerst raffinierte Wölfe ihren Opfern keinen Spaten durch den Leib jagen, gelangen die verstörten Nutztiere zu der Überzeugung, dass wohl doch ein Mensch für das Verbrechen verantwortlich ist. „Ich denke, wir sollten herausfinden, was das für ein Mensch war“, sagt Miss Maple. „Das sind wir dem alten George schuldig.“
Nun sind Schafe – im Gegensatz zu Katzen – bekanntlich nicht besonders intelligent. Sie gelten eher als „faul und behäbig, feige und furchtsam, gedankenlos und einfältig“, wie sich die selbst ernannten Detektive beschämt eingestehen müssen. Georges Schafe haben jedoch das Glück, dass ihr verblichener Schäfer ihnen an langen Winterabenden nicht nur zahlreiche Liebesromane, sondern auch einen Kriminalroman vorgelesen hat. Sie kennen sich im Gefühlsleben der Menschen also ganz passabel aus. „Es ist doch ganz einfach“, blökt Heide bei einer morgendlichen Einsatzbesprechung im Stall: „Eifersucht und Tod.“ Durch geduldiges Wiederkäuen können die vorlaute Heide, der gefräßige Mopple the Whale und die anderen Schafe unter der Führung von Miss Maple zuletzt tatsächlich das Geflecht aus Habgier und Neid entwirren, das über der verschworenen Gemeinschaft von Glennkill liegt. Richtig spannend ist das nicht, eher lustig, und am meisten Spaß machen die wilden literarischen Anspielungen, die Leonie Swann über den Text gestreut hat. Ihr Pseudonym hat die junge deutsche Autorin von Marcel Proust, ihre Heldin Miss Maple hat ihren Namen natürlich nicht allein ihrer Liebe zum Ahornsirup zu verdanken, sondern auch dem Gedenken an die große Miss Marple – und der schwarze Widder Othello (sic!) weist ganz im Sinne von Edgar Allan Poes Meisterdetektiv Dupin darauf hin, dass nicht nur ein Mensch, sondern auch „ein sehr großer Affe“ einen Mord begehen könne.
Womit wir wieder am Anfang wären. Und Tiere waren immer dabei. KOLJA MENSING
Leonie Swann: „Glennkill. Ein Schafskrimi“. Goldmann, München 2005, 380 Seiten, 19,90 Euro Akif Pirincci: „Salve Roma!“. Heyne, München 2005, 271 Seiten, 16,85 Euro
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