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Lachnummern ums Loch

1978 sprengte der Verfassungsschutz ein Loch ins Celler Gefängnis, um Stimmung gegen die RAF zu machen. Nun erinnert ein Comedy-Rockmusical an die Aktion – voller Klischees

Kommen nicht übers Coverband-Niveau hinaus: Moritz „Mutz“ Hempel (4. v. l.) und seine Band The Blackeyed Banditz spielen und singen die alten Hits genau so, wie sie damals klangen Foto: Hubertus Blume

Von Jens Fischer

Ein Celler Original, beohrringt und prachtvoll bis zur Schädeldecke tätowiert, ist Moritz Mutz Hempel, Shouter mit Metal-Meriten. Im Schlosstheater schlendert er kerlig-lässig an die Rampe, haut ein „Moin“ raus und fragt: „Na, Celle, was geht?!“ Er ist für den persönlichen Zugang zu einem Kleinod der Stadtgeschichte zuständig, die „Aktion Feuerzauber“: Funken, Gerüchte, Lügen, Fake News und Panik sprühten 1978.

Vier Jahre war er damals alt, erinnert sich Mutz, lief in Lederhosen herum, gierte nach Bärchenwurst der Fleischerei Zimmermann und wusste nicht, dass in dieser Zeit nach dem Schleyer-Attentat „alle so viel Angst vor der RAF hatten“. Und noch mehr Angst bekommen sollten, um zu akzeptieren, dass immer weitergehende Anti-Terror-Maßnahmen die Bürgerrechte einschränken.

Zur Stimmungsmache sprengte der niedersächsische Verfassungsschutz mithilfe der GSG9, verantwortet von der CDU-Regierung in Hannover sowie vom Bundesinnenminister, ein Loch in die Außenmauer der JVA Celle und behauptete, die RAF hätte wohl ihren einsitzenden Genossen Sigurd Debus befreien wollen. Der aber schlief zur Anschlagszeit ahnungslos in seiner Zelle, das Loch war zudem viel zu klein für einen Menschen, auch wurde eine vergessene Polizeipistole am Tatort gefunden.

Alles egal, anschließend hysterisierten auch Medien gegen den Terror von links. Der Verfassungsschutz schob derweil die Tat zwei angeheuerten Schwerstverbrechern zu, die mit diesem fingierten Gewaltnachweis versuchen sollten, als Spitzel die RAF zu infiltrieren. Das Loch mit Stahlbeton drumherum ist immer noch in Celle zu sehen – ein skulpturales Mahnmal gegen Staatsterror als nachrichtendienstliches Mittel.

Regisseur Andreas Döring hat aus dem 375-seitigen Untersuchungsausschussbericht der dank investigativem Journalismus aufgeflogenen Aktion nun ein Stück entwickelt: dramatische Rekonstruktion als Erinnerungskultur für Nachgeborene wie Mutz.

Damit das kein dröger Geschichtsunterricht wird, wählt Döring das Aufführungsformat Rockmusical. So in der Art wie die Theaterschiffe in Bremen und Lübeck „Kulthits“ eines Jahrzehnts mit Comedyszenen in grell den Zeitgeist karikierenden Kostümen zu nostalgisch-ironischen Heimatabenden mixen.

Im Stadttheater sollte es allerdings einen Mehrwert geben. Ist er in der Musik zu finden? Um die Deutschland-im-Herbst-Stimmung der späten 1970er-, frühen 1980er-Jahre zu verdeutlichen, reicht es nicht, Hits von Nena, Ton Steine Scherben oder Udo Lindenberg auf die Setlist zu setzen. Sie müssen mit der ihnen eigenen Wut und Sehnsucht gespielt oder aus heutiger Sicht neu interpretiert werden. In Celle zelebrieren Mutz & The Blackeyed Banditz leider nur Coverband-Niveau und kommen in Zimmerlautstärke daher.

Also Mehrwert in den Dokudrama-Szenen? Viele Bühnenfiguren haben reale Menschen als Vorbild. Mutz und die Profi­schauspieler stellen aber stets nur aus, wie mackerblöd, aggressiv oder zynisch sie sind. Fast allesamt Lachnummern – ob es sich nun um einen V-Mann, Kommissar, Justizvollzugsbeamten, Detektiv, PR-Referenten der Politiker oder Hippie-WG-Bewohner handelt. Dort ertönt noch mal der putzige Verbal­lärm wider das „Schweinesystem von Ausbeutung und Einsamkeit“ und den „imperialistischen Krieg“.

Ebenso aus der Zeit gefallen ist die Mädchenhaftigkeit der angeblich politisierten Frauen. Sie reden zwar davon, mit Knastbesuchen die Isolation der politischen Gefangenen durchbrechen, ideologischen Austausch pflegen und Gegenöffentlichkeit herstellen zu wollen, sitzen dann aber den Aktivisten von der Klassenkampffront vor allem liebäugelnd gegenüber, benehmen sich wie Groupies und streiten darüber, wie gut die Terrorjungs bumsen.

Auch wie die Beamten ihre voll geheime Spionageshow planen, ausüben und dann zu vertuschen versuchen, ist vor allem spaßig anzuschauen aufgrund des trotteligen Charms. Aber das absurde Geschehen bezieht sich mit reichlich O-Tönen ja auf tatsächliche Vorgänge, sodass Zuschauer die Grenze zwischen Realität und Satire kaum mehr ziehen können – weil es sich halt um Realsatire handelt.

In diesem Sinne funktioniert die Inszenierung. Nur bleibt der Ansatz folgenlos. Das Celler Loch kommt als lustiger Einzelfall daher, der weggeschmunzelt wird. Unklar, was Döring beweisen möchte. Er hetzt keine Weltsichten aufeinander und reißt niemandem eine Maske herunter, denn die Figuren sind, was sie sind: Klischees. Und Mutz, ein echter Typ, wirkt als szenische Integrationsfigur überfordert.

Sa, 6. 4., 20 Uhr, Schlosstheater, Celle. Weitere Termine: 13./14./20./21./24./26. 4.

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