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: Souveränität über den Horror

„My Talk With Florence“ (Österreich 2016, Regie: Paul Poet), 17 Euro

Ein Ohrensessel, Florence Burnier-Bauer hineingelümmelt, sie beginnt zu sprechen; fast zwei Stunden, und ihre Erzählungen führen in ein Leben, das die Hölle war. Sie nimmt sich eine Baby-Puppe, hält sie fest im Arm. Es ist eine gewöhnliche Puppe, aber die Kleider sind in Fetzen, das Gesicht ist blutverschmiert. Die Mahnung an das Entsetzliche, das geschildert wird, soll mit ins Bild.

Der Grund, warum der Wiener Filmemacher Paul Poet mit ihr spricht, ist Burnier-Bauers Mitgliedschaft in der Kommune des österreichischen Künstlers Otto Muehl, der als Teil des Aktionismus die Grenzüberschreitung sucht. Nicht so sehr, wie Hermann Nitsch, in Eingeweidespektakeln, sondern als Schüler von Wilhelm Reich im nach strengen Regeln strukturierten Kommunenalltag mit Erlösungszwang durch viel Sex. Die „Selbstdarstellung“, in die noch Urschrei-Therapie und andere halbgare Praktiken gemixt waren, zielte auf Befreiung der Mitglieder, sorgte mit der Entwicklung Richtung Sektenterror im Lauf der achtziger Jahre für deren Zerstörung.

2008 fand das Gespräch statt, vor dem Hintergrund eines Theaterprojekts, erst später hat Poet daraus einen Film gemacht. Die Leidensgeschichte Burnier-Bauers beginnt lange vor der Begegnung mit Muehl. Von ihrem Großvater und dem Vater wurde Florence als Kind missbraucht. Als Teenager floh sie auf die Straße, schlug sich mit Raub und Prostitution durch, bekam drei Kinder, verlor sie zeitweise, hatte mit einer Situationistengruppe zu tun, geriet nach Wien ins Umfeld von Muehl. Was sie anzog, beschreibt sie eher vage: Sie hatte das Gefühl, darin „Energien“ zu finden.

Zeitliche Abfolgen bleiben im steten Redefluss, einem Deutsch mit französischem Akzent, teils unklar. Poet fragt aus dem Off nach, die Rede Burnier-Bauers drängt immer weiter voran. Aus zwei jeweils ungeschnittenen Tapes besteht der Film, der minimalistisch verfährt, nur zu Beginn und Ende der Teile sieht man Bilder aus der Kommune, teils sind aus ihnen Gesichter gelöscht. 1986 zog sich Muehl mit einer Truppe von Treuen auf die Kanareninsel Gomera zurück. Das Geld hatte er sich mit Aktien-Betrugsgeschäften in Amsterdam besorgt, Burnier-Bauer war dabei. Spätestens ab dann wurde das Leben der Sekte zum Horror. Vergewaltigungen gab es schon zuvor, auch Sex mit Minderjährigen fand der bekennende Pädophile Muehl in seiner Verblendung okay, nun aber steigerte er sich in den Herrschaftswahn von diktatorischem Psychoterror hinein.

Manchmal weiß Burnier-Bauer sich nur durch irritierendes Lachen zu helfen. Sie bleibt aber ruhig, die Puppe im Arm, hat, wie es scheint, was ihr angetan wurde, auf wundersame Weise verkraftet. Unfassbar, dass Muehl bei einem Prozess in den neunziger Jahren lediglich zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, dass sich seine Kunst weiterhin verkauft. Man kann nur staunen, dass „My Talk With ­Florence“ keine Anklage ist, nicht einmal Klage, sondern der abgeklärt erscheinende Rückblick einer Frau, die eine Form von Souveränität über ihre Vergangenheit gewonnen hat, die ihr die Mitwelt zur Hölle zu machen versuchte.

Ekkehard Knörer