Beate Schederschaut sich in Berlins Galerien um:
Man muss sich das einmal vorstellen: Drei Arbeiterinnen gewinnen eine Griechenlandreise. Statt in der Spinnerei zu schuften, sollen sie fortan am Strand herumliegen – und fühlen sich prompt absolut überflüssig, quasi ihrer Identität beraubt. „Die Pauschalreise“ heißt das Stück, das Alice Creischer 1989 im Kunstraum Wuppertal erstmals aufführte. Für ihre Einzelausstellung in der Galerie Wedding nahm sich Creischer ihres Textes und des Themas noch einmal an, das heute eine ganz andere Brisanz entwickelt hat: Die Diskussionen zur zunehmenden Automatisierung spielen nun ebenso mit hinein wie die Ideen einer möglichen Post-Work-Gesellschaft. Auch die Perspektive der Künstlerinnen aus Spanien, der Slowakei und Griechenland, mit denen Creischer für die Wiederaufnahme – samt Performance, Film, Installation und Kostümen – zusammenarbeitete, hallt wider. In weiteren Arbeiten arbeitet sich Creischer gemeinsam mit Andreas Siekmann unter anderem an den ökologischen Auswirkungen von Bitcoins ab. „Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit“ ist ein vielversprechender Auftakt zum diesjährigen Programm der kommunalen Galerie, dem Solvej Helweg Ovesen und ihre neue Partnerin Nataša Ilić den Titel „Soft Solidarity“ gegeben haben (bis 6. 4., Di.–Sa. 12–19 Uhr, Müllerstr. 146–147).
Doch noch für zumindest eine Ausstellung geöffnet ist Oracle, jener Projektraum von Daniel Herleth und Bärbel Trautwein, gelegen in einer völlig aus der Zeit gefallenen Einkaufspassage an der Joachimsthaler Straße. Simon Speiser beschäftigt sich dort passenderweise mit Zeit und wie diese unaufhaltsam an einem vorbeirast, dabei Erinnerungen aufbläst und wieder zum Schrumpfen bringt. Seine VR-Installation ist an das Bild der Stundenblumen aus Michael Endes „Momo“ angelehnt. Gegenstände, Erinnerungsstücke, Scherben kreisen darin an einem vorbei, fast so als handle es sich um ein Planetensystem mit einem selbst als Zentralgestirn (bis 5. 5., offen nach Vereinbarung über oracle@theoracle.works, Joachimsthaler Str. 14).
Weniger an Zeit, dafür umso mehr an Material und Struktur interessiert ist Evan Nesbit, dessen Ausstellung bei Weiss Berlin nur ein paar Schritte von Oracle entfernt zu besuchen ist. Nesbit trägt kräftig leuchtende Farbe von hinten auf das von ihm anstelle von Leinwand verwendete, teilweise vorab handgefärbte, grobe Sackleinen auf, sodass diese durch das Gewebe durchdringt und Reliefs an der Oberfläche bildet. Es sieht so aus, als würde die Farbe daraus hervorwachsen wie Pixel, die ein dreidimensionales Eigenleben entwickeln (bis 19. 5., Do.–Sa. 13–18 Uhr, Bundesallee 221).
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