crime scene: Sara Gran: Der Tod kommt als Rätsel
Sara Gran: „Das Ende der Lügen“. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Heyne Verlag, München 2019. 352 Seiten, 16 Euro
Once upon a time, bevor es „Thriller“ gab oder auch nur „Krimis“, wurde die „ Mystery Nove“ erfunden, zu der im deutschen Wortschatz leider ein Pendant fehlt. Die amerikanische Autorin Sara Gran ist gewissermaßen an die Anfänge des Genres zurückgegangen, indem sie mit ihrer Heldin Claire DeWitt das Rätsellösenwollen als Ursprung allen Ermittelns wieder ganz oben auf die Agenda des Kriminalromans gesetzt hat.
Das neueste Claire-DeWitt-Abenteuer, „Das Ende der Lügen“, ist mehr denn je als Metaroman angelegt. Zwei Zeit- und Handlungsebenen werden parallel geführt, eine dritte im Hintergrund aufgezogen; alle zusammengehalten durch ein übergreifendes Rätsel beziehungsweise Mysterium, das seinen Anfang in Claires Brooklyner Jugend nahm, als sie mit ihren beiden besten Freundinnen schon Fälle löste, angeregt durch die Comic-Heldin Cynthia Silverton und das Detektiv-Handbuch des besten Detektivs aller Zeiten, des geheimnisvollen Jacques Silette. Dieses Rätsel – das spurlose Verschwinden von Claires Freundin Tracy –, das schon in den ersten Claire-DeWitt-Bänden eine große Rolle spielte, wird auch in diesem Roman nicht gelöst werden können. An seinem Ende aber wird Claire etwas in Händen halten, das sie der Auflösung womöglich den alles entscheidenden Schritt näher bringt!
Bis dahin muss die laut Selbstbeschreibung „beste Detektivin der Welt“ einiges mitmachen, denn schon zu Beginn des Romans entgeht sie nur sehr knapp einem Mordanschlag. Und weil ein Claire-DeWitt-Roman sich in mancherlei Hinsicht selbst wie ein Comic geriert, springt die schwer lädierte Ermittlerin gleich nach dem Autounfall, der sie fast das Leben gekostet hätte, wieder von der Bahre, um selbst nach dem flüchtigen Unfallverursacher zu fahnden, der zweifellos Böses im Schilde geführt hat. Dass dieser Bösewicht vermutlich identisch ist mit dem legendärsten der wenigen noch lebenden Jacques-Silette-Adepten, macht den Vorfall umso bedrohlicher. Denn auch Claires Mentorin Constance kam einst aus ungeklärter Ursache bei einem Autounfall ums Leben.
Die Schilderung von Claires Fahndung nach ihrem Beinahemörder wird parallel geführt mit der Erzählung eines Falles, der über ein Jahrzehnt zurückliegt: Um ihre Lizenz zu bekommen, muss die noch sehr junge Detektivin unbezahlte Ermittlungsstunden ableisten und rollt einen alten, ungelösten Fall auf. Ein bekannter Künstler aus Los Angeles war einen mysteriösen Unfalltod gestorben, nicht lange nach seiner Lebensgefährtin, die ebenfalls beim Autofahren ums Leben kam. Claire findet Ungereimtheiten allerorten und löst den Fall erstaunlich schnell. Aufmerksamen LeserInnen wird allerdings nicht entgehen, dass sich in dieser alten Geschichte Hinweise auf den aktuellen Fall finden lassen beziehungsweise mögliche Verbindungslinien zum Ur-Rätsel, dem Verschwinden von Tracy damals in Brooklyn. Wobei das größte Rätsel von allen wohl das Verschwinden von Jacques Silettes kleiner Tochter vor sehr vielen Jahren war …
Sara Gran selbst hat zu Hause möglicherweise eine große Mind Map an der Wand, die es ihr ermöglicht, sich in dem von ihr selbst geschaffenen Erzähllabyrinth zurechtzufinden. Für ihre LeserInnen ist das schwieriger, zumal die Handlung mit so viel Action auf vielversprechenden Seitenwegen garniert wird, dass man sich bereitwillig verläuft und dabei den Überblick über das große Ganze nicht jederzeit souverän behält. Jetzt, nach dem dritten Band, scheint es aber Hoffnung zu geben, dass irgendwann der Ausgang in Sicht kommt. Übrigens ist es im Prinzip problemlos möglich, mit diesem (dritten) Roman in die Claire-DeWitt-Lektüre einzusteigen. Aber wer die Mystery Novel in ihrer Bestimmung tatsächlich ernst nehmen will, hat wahrscheinlich noch mehr davon, bei Band eins („Das Ende der Welt“, deutsch 2013) anzufangen und auf dem Weg Hinweise aufzusammeln, die vielleicht irgendwann dabei helfen, alle Rätsel der Welt zu lösen. Oder zumindest jener Welt, in der die beste aller Detektivinnen lebt.
Katharina Granzin
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