Vorauseilend gehorsam

Weil CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel eine angebliche „Überförderung“ erneuerbarer Energiequellen monierte, ist in Sachsen-Anhalt die Errichtung einiger Ökostromanlagen blockiert

VON HARALD LACHMANN

Gereizt wirft Ralf Hägele, Chef der Agrargenossenschaft Barnstädt, ein Schreiben vom Juli auf den Tisch. Es ist eine Art Ausladung. Die IHK Halle-Dessau teilte ihm lapidar mit, man habe eine Beratung zu „Perspektiven erneuerbarer Energien für die Landwirtschaft“ abgesetzt. Geschäftsführer Jürgen Andrick hält es für „nicht sinnvoll“, darüber kurz „vor einer möglichen Neuwahl und gravierender Verunsicherung hinsichtlich der Perspektiven erneuerbarer Energien“ auch nur zu reden.

„Die nun also auch!“, höhnt der Landwirt. Eben erst musste er einen Bauantrag zurückziehen, bewirkt durch ähnliche Unkenrufe. Eine Weile schon verstromen die Barnstädter Bauern Biogas, nun sollte ihnen auch die Sonne dienen. Auf mehreren Ställen planten sie weitläufige Kollektorflächen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Einspeisung von „grünem Strom“ ins Netz fördert, bestärkte sie darin ebenso wie zufriedene Kollegen in Nachbarbetrieben. So vereinbarte man mit der Meridian Neue Energien GmbH im thüringischen Hildburghausen, dass diese ihre alten, teils asbesthaltigen Stalldächer saniert und darauf dann Photovoltaikanlagen installiert.

Der Bauauftrag war fertig, das Finanzierungskonzept erstellt, nur eins noch offen: Der regionale Netzbetreiber Envia Mitteldeutsche Energie AG (EnviaM) in Chemnitz musste den Einspeisepunkt nennen, an dem der Sonnenstrom später ins Netz aufgenommen wird. Normalerweise eine Formsache, zudem unverzichtbar, so Hägele. Ohne Einspeisepunkt gebe es weder grünes Licht vom Bauamt noch eine Kreditzusage der Hausbank. Doch plötzlich, der Kanzler hatte soeben mögliche Neuwahlen avisiert, schien die Welt eine andere: Die EnviaM verweigerte kurzerhand den Einspeisepunkt.

Für die Thüringer Firma, die nun fürchtete, auf mehreren vollständig durchgeplanten und errichtungsreifen Projekten sitzen zu bleiben, war klar: Hier spielt ein Energiedienstleister in Erwartung möglicher politischer Kehren mit geltendem Recht Katz und Maus. Denn mit anderen Netzbetreibern, etwa in Thüringen und Sachsen, sei das Thema „relativ umkompliziert zu handhaben“, so Carmen Eisenbach von Meridian. Man zog vor das Landgericht Halle, um per Eilantrag einen Einspeisepunkt zu erzwingen. Der Jenaer Anwalt für Energierecht Hans Reip, der sie vertrat, verwies hier auf mehrere von Meridian beantragte Standorte, für die EnviaM in „wortgleichen Schreiben eine Einspeisezusage kategorisch“ ablehne. Stets berufe man sich „in fadenscheiniger Begründung auf eine Überlastung des Netzes, ohne nähere Angaben zu liefern“.

Für EnviaM, eine RWE-Tochter, agierten vor Gericht zwei Düsseldorfer Anwälte einer renommierten Sozietät. Doch zum Erstaunen der Kläger argumentierten auch diese recht offen politisch statt juristisch. So tat man kund, das EEG werde ohnehin „in naher Zukunft abgeschafft“. Denn die „derzeitige Opposition hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges bei den voraussichtlich im kommenden Herbst stattfindenden Bundestagswahlen das gesamte System der Förderung erneuerbarer Energien zu überarbeiten“. Investoren und Betreiber geplanter EEG-Anlagen, so ihre Logik, „genießen daher nur noch ein eingeschränktes verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen in den Bestand der EEG-Förderung in der geltenden Form“.

Ralf Hägele war baff. „Kann jeder nur auf den Verdacht hin, dass eine neue Regierung gewählt werden könnte, die dann vielleicht die Gesetze ändern könnte, bereits geltendes Recht aushebeln?“, so der Landwirt. Hintergrund sei ja im Grunde nur die Äußerung von CDU-Chefin Angela Merkel, eine „Überförderung“ alternativer Energiequellen korrigieren zu wollen – „was immer das heißen mag“.

Für Anwalt Reip geht es zudem an den Intentionen des EEG vorbei, wenn der Energieversorger den Einspeisepunkt mit dem Verweis verweigert, die Anlage sei ja noch nicht gebaut. Denn weil damit auch bestimmte technische Angaben für den Netzanschluss vorgegeben würden, wäre es „ein notwendiger Bestandteil in der Projektumsetzung“. So aber liege nun eine Vielzahl begonnener Solaranlagen, aber auch Biogasanlagen auf Eis.

Die Richterin jedenfalls lehnte den Eilantrag ab. Bei Ralf Hägele entstand hingegen ein schaler Beigeschmack. Gespannt warteten bei Redaktionsschluss Anwalt und Mandant auf die schriftliche Urteilsbegründung.

Eine Sammlung von Urteilen findet man unter www.NewEnergy-Law.de