Perser mit Potenzial

Als faulster Neuzugang der Vereinsgeschichte gescholten, deutet der Iraner Ali Karimi in den Reihen des FC Bayern München seine überragenden Möglichkeiten an und sorgt damit für Konfliktstoff

AUS MÜNCHEN STEFAN OSTERHAUS

Da kommt er vorbeispaziert, dieser Martin Demichelis, der Argentinier im Sold des FC Bayern, frisch aus der Dusche nach dem Training, unverkennbar, ungefönt, mit klatschnass zurückgekämmten Haaren. Doch halt, es ist gar nicht Demichelis, nein, es ist Ali Karimi, der Iraner, wie der Argentinier einer aus der Fraktion versierter Nasskämmer. Kaum auseinander zu halten sind die beiden, wenn sie beim Training aneinander vorbeimarschieren, und manchen Pass, den Karimi spielt, will man Demichelis, der sich tags drauf verletzen sollte, zuschreiben – und umgekehrt, was besagt, dass sich die beiden im Spiel gut verstehen.

Karimi ist ein Transfer der mysteriösen und exotischen Sorte, den kaum einer dem deutschen Rekordmeister zugetraut hätte. Der 26-Jährige gilt als bester Fußballer Asiens, als ein Mann, an dessen Fuß ein Magnet befestigt scheint. Dass etliche Bundesligisten die Anfrage von Karimis Berater Reza Fazeli ignorierten, erscheint angesichts seiner ersten Auftritte in der Bundesliga wie ein Treppenwitz vom grandios Verkannten.

Er ist Dribbler der alten Schule, mit Zug zum Tor: 32-mal hat er in 82 Länderspielen für Iran getroffen, und die Nationalspieler der Bayern erinnern sich mit Schaudern an den Auftritt der deutschen Elf in Teheran, als Karimi das gegnerische Mittelfeld zur Statistenschar degradierte. Dass später seine körperlichen Defizite offenbar wurden und er abbaute, begünstigte den 2:0-Sieg der Deutschen.

Kondition ist seine Sache nicht, und so begrüßten Münchens Boulevardblätter den „faulsten Neuzugang“ der Vereinsgeschichte. Ein voreiliges Urteil, das ließ sich schon nach dem ersten Spiel sagen, und die zweite Partie in Leverkusen widerlegte sämtliche Ressentiments, die Auguren dem Potenzial des Persers gegenüber hegten. Im DFB-Pokalspiel des FC Bayern am Sonntag gegen den Oberligisten MSV Neuruppin kann er sich wohl wieder beweisen, so wie in Leverkusen, als er ein Tor erzielte, woraufhin ihn manche zum Spieler des Tages erklären wollten, obschon Kollege Makaay dreimal getroffen hatte. Karimi zeigte sogar Zweikampfhärte und delegierte die Bälle mit Übersicht. Er ist nicht aufgefallen durch eitel-zweckfreie Dribblings, so als hätten ihm die stillen Jahre in Dubai nicht geschadet, wo er sich im Kader von al-Ahli ein Alibi als Fußballer verschaffte; nein, er verstand sich blendend mit Michael Ballack und dem Rest der Belegschaft. Nun dämmert auch jenen, die ihn als Faulpelz abstempelten, dass sich der Bayern-Coach Magath etwas gedacht haben muss beim Transfer, der ohne Ablösezahlung erfolgte und Karimi Gehaltseinbußen beschert.

Magath und Karimi, das klingt wie ein personifiziertes Paradoxon. Der Disziplinfanatiker und der Schönspieler, der Stratege und der intuitive Künstler. Die Erklärung des Trainers ist simpel: In Zeiten, in denen das Spielfeld den Akteuren taktischer Manöver wegen immer weniger Raum bietet, sei der eine Mann entscheidend, der im Duell vorbeiziehen könne. Feine Techniker wie Karimi, den Magath als Schnelldenker identifizierte, sind im Vorteil, andernfalls gebe es nur eine Möglichkeit, wie Rummenigge der Süddeutschen sagte: „Höchstens wenn du vorn einen Ochsen wie Didier Drogba hast, der vier Mann wegschiebt.“ Mit dem Stürmer aus Elfenbeinküste hatten die Münchner gegen den FC Chelsea böse Erfahrungen gemacht.

Ob sich der hoch veranlagte Karimi durchsetzen wird, ist eine der interessanteren Fragen der Saison. Im voll gepackten Münchner Mittelfeld, das in seiner verschärfter Konkurrenz noch Deisler, Zé Roberto, Schweinsteiger und Scholl der filigranen Abteilung zurechnet, darf man Karimis erste Einsätze als unumwundenen Vertrauensbeweis des Trainers interpretieren. Karimi hat Magath nicht enttäuscht, doch die Personalie birgt Brisanz: Was wird aus Sebastian Deisler, der beinahe auf der gleichen Position spielt wie Karimi und der seine Ansprüche auf einem Platz im Nationalteam am Mittwoch in Rotterdam als einer der wenigen bekräftigte? Befeuert der Bayern-Coach nicht vielleicht einen Konflikt, da Karimis Klasse den Ambitionen Deislers und den Intentionen des Bundestrainers Jürgen Klinsmann zuwider läuft? Inzwischen lässt Karimi Sentenzen übersetzen, die Deisler nachdenklich stimmen könnten: „Ich bin mit meiner Leistung noch nicht zufrieden. Ich muss mehr arbeiten, um die Aufgaben des Trainers zu erfüllen.“

Magath wird solche Sätze mit Genugtuung registrieren. Finden da vielleicht zwei zusammen, von denen dies niemand dachte? Lernfähig scheint Karimi allemal: Von Demichelis, seinem Zwilling aus der Ferne, hat er schon eines ganz schnell abgeschaut: das schnelle Abspiel, wenn ein Dribbling zwecklos ist.