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wortwechselSchnell, bis zur Grenze des Möglichen

Sollten „Raser“ für immer hinter Gitter? Und was ist mit ignoranten Verkehrsministern?Wem helfen Flüchtlingshelferinnen? Was geschieht mit der guten alten Gaststätte?

Nach dem Autorennen Foto: Britta Pedersen/dpa

Hybris der Jugend

„Die Straße verteidigen“, taz vom 27. 3. 19

Der Staat muss die schwächsten Verkehrsteilnehmer gnadenlos verteidigen. Es geht nicht nur um Strafe und schon gar nicht um Vergeltung, sondern um Abschreckung, so der Tenor bei Adriane Lemme zu dem Urteil gegen die Berliner Raser. Was sind das für Töne in der taz?

Schnell, bis zur Grenze des Möglichen, ist das Motto unserer Gesellschaft. Formel-1-Rennen, Ski-Abfahrt, Ski-Sprung, rasante Flugshows, mit dem Fahrrad mit 80 km/h die Alpenpässe hinunter an eng stehenden Zuschauern vorbei.

Wer hat vor diesem gesellschaftlich akzeptierten und manchmal tödlichen Hintergrund das Recht, über zwei zur Tatzeit noch recht junge Menschen, die an ihrer Hybris gescheitert sind, aber niemanden umbringen wollten, endgültig den Stab zu brechen? Müsste nicht eher ein im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ruhig am Schreibtisch sitzender Verkehrsminister mittleren Alters, der nicht seine Pflicht erfüllt und nicht für die Umrüstung der Lkws sorgt, sondern höchst leichtfertig darauf vertraut, dass Lkw-Fahrer beim Abbiegen keine Fahrradfahrer oder Fußgänger übersehen und zerquetschen, eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen? Ist er nicht ein besonders grausamer Massenmörder, der – aus welchen Gründen auch immer – die statistisch sicheren Toten billigend in Kauf nimmt und zynisch den potenziellen Opfern rät, besser aufzu­passen? Udo Grönheit, Berlin

Gnadenlose Justiz

„Die Straße verteidigen“, taz vom 27. 3. 19

Eine sich als linksliberal, ja links verstehende Zeitung fordert eine „gnadenlose“ Strafjustiz. Nicht etwa gegen rechte Terroristen oder Diktatoren, nein, weil die Autorin „die Straße verteidigen“ will gegen ganz und gar unpolitische Verkehrsrowdys. Das erschreckt. Das zeigt, wie weit ein naiver Glaube an strenges, ja gnadenloses Strafen und Einsperren in die Gesellschaft vorgedrungen ist. Die Frage, ob ein „Lebenslang“ gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes verstößt, spielt keine Rolle – es geht ja darum, den eigenen Kiez gegen narzisstische Auto­fetischisten zu verteidigen.

Aber wenigstens ein Blick ins Gesetz wäre hilfreich gewesen. Die Alternative lautet nicht: Lebenslang oder Bußgeld und kurzes Fahrverbot. Auch für fahrlässige Tötung und Straßenverkehrsgefährdung kann man fünf lange Jahre hinter Gitter kommen, samt Führerscheinsperre – und die auch lebenslang. Die von der Autorin als vermeintlich einzigen Strafzweck favorisierte Abschreckungswirkung gerade der lebenslangen Freiheitsstrafe ist kriminologisch jedenfalls nirgends belegt. Stephan Voigtel, Düsseldorf

Das Publikum geht

„Journalistinnen im Vatikan treten ­geschlossen zurück“, taz vom 27. 3. 19

Chapeau für Women Church World. Eher irritierend, dass der Katholische Deutsche Frauenbund „mit großer Irritation“ reagiert. Wenn Frau Hücker fragt: „Was muss passiert sein, dass eine gesamte Redaktion zurücktritt?“, möchte ich ihr antworten: „Genau das, was seit 2.000 Jahren passiert.“ Wenn Sie erschrocken feststellt: „So wie jetzt kann die männliche Amtskirche doch nicht mit Frauen umgehen?“, frage ich mich: Was heißt jetzt??!! Nur weil ein Schmorbrand in offenes Feuer umschlägt? Die Zeit, dass Frauen in der Kirche ihre Ämter, vor allem auch ihre Ehrenämter in Scharen niederlegen, ist schon seit langen Jahren überfällig! Wenn das Publikum und das Personal hinter den Kulissen geht, zeigt sich endlich, dass auf der Bühne absurdes Theater stattfindet. Hildegard Meier, Köln

Hören Sie denen zu?

„Say it loud, say it clear: nur Objekte welcome here!“, taz vom 22. 3. 19

Sehr geehrte Frau Fauth, wie vielen Geflüchteten und wie vielen ehrenamtlichen Helfern haben Sie denn zugehört, dass Sie pauschal über die Wünsche, das Verhalten und die Motivation von Hunderttausenden Geflüchteten und Millionen deutschen Helfern urteilen können? Ich habe auch keine wissenschaftlichen Erhebungen gemacht, aber es ist für mich schon verblüffend, wie sehr meine Erfahrungen mit circa 20 Geflüchteten und etwa ebenso vielen ehrenamtlichen Helfern Ihren Behauptungen – ob es sich um Erfahrungen handelt, kann ich dem Artikel nicht entnehmen – entgegenstehen.

Wir ehrenamtlichen Helfer interessieren uns sehr wohl für die Lage in Syrien und im Irak und sorgen uns um die Angehörigen unserer Freunde, die noch dort sind. Ich für meinen Teil interessiere mich auch für Afghanistan und den Jemen, den Kongo, den Sudan und die Zentralafrikanische Republik, auch wenn ich niemanden von dort kenne. Und natürlich unterhalten wir uns mit unseren Freunden und hören zu, wenn sie von ihrem Leben vor der Flucht und von ihren Fluchtgeschichten erzählen. Die meisten Geflüchteten sind überrascht, wie gut die Deutschen über die Lage in Syrien und im Irak informiert sind, etwas, das sie durchaus nicht von uns erwarten. Und für manchen Geflüchteten sind die alltagspraktischen Pro­ble­me mit Rassismus gerade akuter, als sich von Deutschland aus gegen Assad zu engagieren. Den Geflüchteten, die ich kenne, bedeutet es sehr viel, wenn Tausende Deutsche für deren Rechte als Geflüchtete und gegen Rassismus auf die Straße gehen. Viele Geflüchtete sind nämlich gar nicht Aktivist*innen, Künstler*innen oder Journalist*innen, sondern Optiker*innen, Sozialarbeiter*innen, Kaufleute oder Fernfahrer und deswegen trotzdem keine namenlosen Opfer. Hören Sie denen auch mal zu?Den Punkt, den Sie mit Ihrem Artikel machen wollen, kann ich durchaus nachvollziehen. Ich ärgere mich aber über den Hochmut, in dem der Artikel geschrieben ist und den Sie pauschal anderen vorwerfen. Britta Bremer, Essen

Unfreiwillige Pazifisten

„Wir.Dienen.McKinsey“, taz vom 21. 3. 19

Unfassbar ist für mich die grenzenlose Verschwendung von Steuermitteln, welche sicher anderweitig sinnvoll eingesetzt werden könnten. Würden führende Politiker persönlich für ihr Missmanagement verantwortlich gemacht werden, gäbe es eventuell ein Einsehen, aber so geht’s für in Deutschland nicht mehr tragbare Minister(innen) auf schnellem Weg nach Brüssel. Eine „Gorch Fock“, die seit dreieinhalb Jahren im Trockendock liegt, wer braucht die? Abgesehen davon, dass außer einzelnen Nostalgikern bei der Bundesmarine niemand ein echtes Interesse daran haben kann, über 130 Millionen zu zahlen. Den Nostalgischen in der Bundeswehr sei gesagt, gründet einen Verein und macht es selbst. Das einzig Positive an dem desolaten Zustand der Bundeswehr ist, dass wir eine echte, unfreiwillige ­Pazifistenarmee haben. Weiter so! Tanja Hiort, Seevetal

Das Gasthofsterben

„Und täglich grüßt die Bratkartoffel“, taz vom 23./24. 3. 19

Die geschilderten traurigen Tatsachen sind wahr, aber logische Folge der Einführung der Marktwirtschaft. Ich bin nicht in der Prignitz, sondern östlich davon im Ruppiner Land (nichttouristischer Teil) aufgewachsen, aber es war dasselbe. Damals, in der DDR, hatten die meisten Dörfer eine Gastwirtschaft. Manchmal bekam man nur Bockwurst, aber in etwas größeren Dörfern auch „vernünftiges“ ­Essen. Nach 1990 haben sich aber die meisten Gastwirtschaften nicht halten können: Die Leute gaben ihr Geld für anderes aus oder hatten gar keins mehr, die jungen Leute machten sich auf der Suche nach Arbeit davon, und manch Arbeitsloser machte in seiner nicht mehr benötigten alten Scheune eine Bierbar auf und dem Gastwirt Konkurrenz.

Dazu kam mitunter auch noch das ­Problem ungeklärter Eigentumsverhältnisse der Kneipengrundstücke. Jetzt geht das Gasthofsterben in die zweite Runde: Selbst in touristisch interessanteren Orten wie Neuruppin finden sich kaum noch ­Köche und Servierkräfte. Und auf den ­Dörfern geht die Armut bei den Ren­tnern um. Was will man da erwarten? Interesse an neuen Gerichten leider schon gar nicht! Heinz-Herwig Mascher, Hohen Neuendorf

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