Smartphones auf Sendung

ART WEEK Tanz der Bagger und Partys in Kirchen: Das Berliner Kunstwochenende bringt spektakuläre Performances und Umwidmungen mit sich. Trotzdem bleibt es angenehm unelitär in der Stadt

Hierarchien haben sich nicht durchgesetzt – und auch nicht der Glamour, der den Kunsthandel begleitet

VON TAL STERNGAST

Am Mittwochabend, noch bevor Berlin Art Week und art berlin contemporary eröffneten, erreichten viele gutgekleidete Menschen auf Fahrrädern den Schinkel-Pavillon. Das, obwohl derselbe von allen Seiten von Bauzäunen umgeben ist. Dazu choreografierte Cyprien Gaillard für seine Ausstellung mit dem Titel „What it Does To Your City“ in der Baugrube vor dem Pavillon einen Tanz der Bagger. Punkt 20 Uhr begannen sich die großen Maschinen wie Dinosaurier über den Platz zu bewegen. In ihren Schaufeln transportierten sie bengalisches Feuer.

Das charmante Spektakel machte die Menge draußen und drinnen, Bier in der einen, filmendes Smartphone in der anderen Hand, glücklich. Szeneveteranen erinnerten sich an Daniel Barenboim, der 1996 einen Tanz der Kräne auf der weitaus dramatischeren Baustelle des Potsdamer Platzes zur Musik Beethovens dirigiert hatte.

Das für das Oeuvre Gaillards typische, konzeptionelle Fehlen von fixierten Bildern und Repräsentationen wurde hier durch ein Spektakel kompensiert. Das ist typisch für gesellschaftliche Ereignisse der Gegenwart mit ihrem Überschuss an sofortiger Dokumentation und Verteilung durch den Schwarm der ans Netz angeschlossenen Individuen.

Kurz vorher und auch danach traf man sich in St. Agnes. In der ehemaligen Kreuzberger Kirche hatte der neue Besitzer, der Galerist Johann König, zum Tag der offenen Tür plus Symposion eingeladen. Das brutalistische Gebäude aus den Sechzigern wird im Herbst von Arno Brandlhuber und Kollegen renoviert werden und soll als Kunstraum wiederauferstehen.

Die Atmosphäre beim abendlichen Grill mit den Künstlern der Times Bar war aber etwas unheimlich. Man hatte plötzlich das Gefühl, dass die Kunst-Crowd noch jeden Raum okkupieren kann, egal ob Baustelle, Kirche oder Kuhstall. Das neue St.-Agnes-Logo, die mit ihm gebrandete Hipsterleinentasche und das zugehörige Facebook-Profil stehen in deutlichem Gegensatz zur Geschichte des Gebäudes als Kirche und Gemeindezentrum und erzählen vielleicht mehr über das Projekt als die Absichtserklärungen des Galeristen, die Stimmung und Bedeutung des Orts konservieren zu wollen.

Auch wenn sich in der Berliner Kunstszene in den vergangenen zehn Jahren viel verändert hat, ist sie doch nie elitär geworden und immer ein bisschen provinziell geblieben – zum Bedauern der einen und zur Freude der anderen. Hierarchien haben sich noch nicht durchgesetzt und damit auch nicht der Glamour, der den Kunsthandel andernorts begleitet. Die art berlin contemporary, ein Bankert der im vergangenen Jahr verschiedenen Kunstmesse Art Forum, war als Konkurrenz zu ebendieser 2008 von neun Galerien gegründet worden. Sie hat nicht lange gebraucht, ihre schwächelnde Mutter gänzlich zu ersetzen, leide aber immer noch unter ihrer traumatischen Kindheit, wie manche Beobachter meinen.

Die Atmosphäre auf der vierten Ausgabe der abc ist unprätentiös und einladend. Sie ist leicht verständlich und angenehm zu durchwandern. Ihr Gespür für Stil und Trends könnte dazu führen, sie eher als Kommentar zu modernen Kunstmessen denn als Konkurrenz zu Art Basel & Co. zu verstehen. Aber auch die abc dreht sich um die abstrakte und konkrete Figur des Sammlers.

Ihm setzt Jeff Wall in seinem „Authentication“-Zyklus von 2010 ein Denkmal, der von der Johnen Galerie gezeigt wird. Wall fotografiert den Kostümsammler Claus Jahnke inmitten seiner Stücke und meditiert so über die Bedeutung der Provenienz von Objekten. In diesem Fall sind dies Kleidungsstücke, die der jüdische Warenhausbesitzer N. Israel in Berlin produziert und verkauft hat. Walls Fotos fungieren so als Index, der sich zu seinem Objekt wie Rauch zu einem Feuer verhält.