Misshandelte bleiben zu Hause

Nur jede fünfte misshandelte Frau in NRW sucht Hilfe in einer Beratungsstelle, so eine neue Studie. Frauenministerium zweifelt die Zahlen an. „Wir haben eine bessere Struktur als andere Länder“

von ANNIKA JOERES

Geschlagene und misshandelte Frauen in Nordrhein-Westfalen machen ihren Schmerz mit sich allein aus. Eine neue Studie der Dortmunder Landesfachstelle autonomer Frauen- und Mädcheneinrichtungen zeigt: 80 Prozent der Frauen, die von ihrem Partner misshandelt werden, suchen keine Hilfseinrichtung auf. „Sie schätzen Schläge und Misshandlungen oft nicht als Gewalt ein“, sagt Christine Ehret von der Dortmunder Beratungsstelle.

Die Zahlen aus NRW bestätigen jetzt die erste bundesweite Studie aus dem Jahre 2004 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Selbst bei schwersten Körperverletzungen, bei Gehirnerschütterungen und tellergroßen Blutergüssen suchen die Frauen keinen Arzt oder Beratungsstelle auf. „Sie schämen sich, haben oft sogar Schuldgefühle“, sagt Ehret, „außerdem glauben sie, es sei ihr privates Problem.“

Oft schalten sich auch die Täter ein. „Sie schaffen es sehr geschickt, ihre Opfer in ein Schweigegebot zu binden“, sagt Brigitte Kissel von der landesweiten psychologischen Beratungsstelle Distel e.V. in Essen. Täter schieben den Opfern die Verantwortung zu und die fragten sich dann mit Schuldgefühlen, ob sie es nicht hätten verhindern können. Kissel fordert wie Ehret mehr Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. „Es muss klar werden: Das sind meine Rechte, dort wird mir geholfen.“

Das Frauenministerium, geführt von Armin Laschet (CDU), zweifelt hingegen die Studie grundsätzlich an. „Die bundesweiten Zahlen können nicht herunter gebrochen werden“, sagt seine Sprecherin Barbara Löcherbach. Sie glaube nicht, dass die Situation in NRW so gravierend sei wie in anderen Bundesländern. „Wir sind hier schon viel weiter, die Ärzte aufgeklärter“, sagt Löcherbach. Auch sei es kaum möglich, noch mehr Aufklärung zu betreiben. Die Polizei gebe Infomaterial heraus, in Kneipen hingen Aufkleber, in Bussen Plakate für die Telefonseelsorge, selbst auf Brötchentüten und Bierdeckeln sei für die Hilfsangebote geworben worden. „Wir können nur appellieren: Traut Euch, geht raus“, sagt sie. „In anderen Bundesländern ist die Infrastruktur nicht so groß und weniger bekannt.“

Marianne Wüstefeld von der landesweiten AG Frauenberatungsstellen in Gladbeck kann keine Sonderrolle NRWs erkennen. „Die wissenschaftliche Erhebung kam zu eindeutigen Ergebnissen“, sagt sie. Zwar sei die Infrastruktur in NRW besser als in anderen Bundesländern, aber auch hier sei Gewalt in der Familie, Gewalt vom Partner, ein Tabuthema. „Das Bild der heilen Familie will niemand stören.“ Ganz entscheidend sei auch die Bedrohung der Opfer. „Sie leben oft in Todesangst.“

Das Buhlen um mehr Öffentlichkeit ist für die Beratungsstellen allerdings ein zweischneidiges Schwert: Schon jetzt sind sie überlaufen, einige Frauen müssen auf die dringende Hilfe sogar warten. Durch das neue Gewaltschutzgesetz arbeiten sie enger mit der Polizei zusammen und fangen diejenigen auf, die ihren Mann oder Partner der Wohnung verwiesen haben. Und die Zukunft der wenigen Mitarbeiterinnen ist sogar gefährdet: Minister Laschet hat zwar angekündigt, „keine Strukturen“ zerschlagen zu wollen. Der CDU-Mann sagte aber auch, die Notrufe, Beratungsstellen und Frauenhäuser müssten effizienter arbeiten. Bis zu den Haushaltsberatungen in diesem Herbst will er sich aber nicht festlegen. Bis dahin liegt auch eine lange geplante Info-Kampagne der Beratungsstellen für die Wartezimmer von ÄrztInnen auf Eis.