„Hauptsache sexy – egal ob man sich so fühlt“

Katharina Wackernagel, 26, schlägt sich in „Die Boxerin“ als herbe 19-Jährige durch: Heute erwachsen zu werden, sagt sie, ist echter Stress

taz: Frau Wackernagel, so wütend und verletzlich hat man Sie selten in einer Rolle gesehen. Warum wollten Sie die 19-jährige Boxerin Johanna spielen

Katharina Wackernagel: So eine Rolle wurde mir noch nie angeboten: ein junges Mädchen, das sich durchkämpfen muss, das wegen ihrer Härte und ihrem burschikosen Auftreten bei den Freundinnen nicht als Mädchen akzeptiert ist – das fand ich sehr interessant. Nachwuchsfilmer können oft mutiger, unkonventioneller arbeiten, sie geben ihren Figuren mehr Raum.

Ein Kontrastprogramm zu Ihrer ARD-Serienrolle „Tanja“?

Tanja war auch unsicher, wie man es in der Pubertät eben ist. Aber sie konnte immer durchsetzen, was sie wollte. Und ihre Sozialisation, ihre Familie gab ihr auch die Möglichkeit dazu. Johanna ist zwar auch stark, aber auf sehr wackeligem Boden. Ihr fehlt die Orientierung.

Damit scheint sie nicht alleine zu sein. In vielen aktuellen Filmen geht es um Jugendliche, die das Gefühl haben, sie bekommen gar keine Chance.

Ich glaube, das spiegelt unsere Zeit, die hohe Arbeitslosigkeit, die in der „Boxerin“ ja auch thematisiert wird. Johannas Problem besteht vor allem darin, dass sie innerhalb der Familie ihre Rolle nicht findet: Sie ist einerseits Tochter, andererseits soll sie das Geld ranschaffen, obwohl es unglaublich wenig Jobs gibt. Und dann wird ihr auf dem Arbeitsamt gesagt, sie sei schwer vermittelbar, weil sie zu anstrengend sei …

Wieso hat man trotzdem den Eindruck, dass Familie wieder wichtiger wird – so kaputt sie auch sein mag?

Die Schlussfolgerung klingt erst mal logisch: weil man sich in einem System behaupten muss, das immer mehr Erfolgsdruck aufbaut, greift man auf Verbindlichkeiten zurück, die sowieso da sind: die Familie. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das tatsächlich funktioniert. Was wiederum mit den Eltern zu tun hat, die auch wirtschaftlichem und sozialem Druck unterliegen und weniger Zeit für Familie aufbringen können.

Nehmen Sie dies auch in Ihrem persönlichen Umfeld wahr?

Ich habe das Gefühl, dass die soziale Spaltung früher beginnt. In meiner Schulzeit hatte man bis zum Abitur oder der Mittleren Reife einen Sicherheitspuffer, zwar musste man ein berufsorientiertes Praktikum machen, aber das brachte noch niemanden in Bedrängnis. Heute bilden sich schon in der Schule Gruppen: Die einen klinken sich total aus, weil sie keine Lust haben, den Hampelmann zu machen. Die anderen ziehen tierisch früh an, jobben während der Schulzeit, legen da schon los.

So ein Weg, wie Sie ihn gegangen sind, wird also schwieriger?

Ich bin da eine Ausnahme, meine Familie hat mich immer unterstützt, Schauspielerin zu werden. Aber trotzdem glaube ich, dass es schwieriger wird, für künstlerische Berufe offen zu bleiben. Weil man ja weiß, dass die nicht wirklich abgesichert sind, man aber einen festen Job braucht, um wenigstens Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Dieser Druck löst Aggressionen aus, die ja auch bei Johanna im Film so deutlich werden, ein hilfloses Wehren gegen etwas, was man als Jugendlicher gar nicht haben möchte: Sicherheitsstreben.

Im Film kompensiert Johanna diese Aggression über das Boxen, wird im Gegenzug aber nicht als Mädchen wahrgenommen.

Wenn ich heute Mädchen sehe, dann hab ich den Eindruck, es geht in erster Linie darum, selbstbewusst und sexy zu wirken – egal ob man sich so fühlt oder nicht. Das ist ein ziemlich harter Trend, er ist auch nicht besonders weiblich. Das lässt Frauen gar keinen Raum mehr, sich erst mal selbst zu finden.

Sind Sie froh, dass Sie vor 15 Jahren in der Pubertät waren und nicht heute?

Auf jeden Fall! Ich glaube, ich hätte heute noch viel mehr Schwierigkeiten. Dieses Zugeballere mit Fitnesszeitschriften, die sagen „So musst du sein“ und „So muss der Sex sein“, das empfinde ich als Horror. Es würde mich total stressen.

INTERVIEW: SUSANNE LANG