: Ein Schatten seiner selbst
THEATER Mit Don Juan findet René Polleschs Molière-Triologie an der Volksbühne einen Abschluss. Das Stück pendelt zwischen Tragik und Komödie, und Martin Wuttke brilliert als kraftloser Verführer
VON RENÉ HAMANN
Der größte Frauenheld der Geschichte hat ausgedient. Der Gesundheitsdiskurs, die neubürgerliche Wiederentdeckung der Monogamie, die Entdeckung der Liebe als Kraft des Widerstands auch seitens linker Theoretiker wie Alain Badiou, das alles hat dem alternden Genussmenschen Don Juan zugesetzt. Auch die Zigaretten helfen nicht mehr, denn was eben noch als erhaben galt, ist nun ekelerregend. Man will eben nicht mehr genussvoll, glamourös, affirmativ autodestruktiv sein, sondern nur noch: lange leben.
Aber nicht nur das. Nicht nur, dass Don Juan – in René Polleschs Stück nach der Vorlage von Molière, von der außer ein paar Versatzstücken nichts übrig blieb – schön hysterisch, absolut präsent und göttlich gegeben von Martin Wuttke, ein Auslaufmodell ist; nicht nur, dass er verzweifelt nach neuen, anderen Orten sucht (Diskursfachbegriff: Heterotopien), die er im „Haus für pubertierende Jugendliche“ respektive in der Hypnose findet; nicht nur, dass sich „scheinbar die Beleuchtung“ geändert hat und vom Begehrtwerden für ihn keine Rede mehr sein kann. Nein, es ist sogar so, dass sein größter Erfolg dann eintritt, wenn er gar nicht da ist.
Diagnose Donjuanismus
Seine, realiter also Wuttkes, Premiere von Molières „Der Geizige“ hatte er im Juni absagen müssen und sich statt zur Bühne zum Arzt bringen lassen. Ausgebrannt, erschöpft, k. o. Don Juan, zu kaputt, um den Geizigen zu geben. Polleschs Inszenierung des letzten Teils der Molière-Trilogie nun gönnt sich den Spaß, sich im Mittelteil genau damit zu beschäftigen: Don Juan als Schatten seiner Selbst, als Antiheld im Zwischenreich, gefeiert nur noch für die eigene Abwesenheit.
Der Donjuanismus ist tatsächlich ein Begriff aus der Psychologie, er bezeichnet den krankhaft gesteigerten männlichen Sexualtrieb. Die Betonung liegt auf krankhaft. Die Liebe, an der die Menschen immer noch verzweifeln, weil, wie André Breton in „L’Amour Fou“ schrieb, sich alle vorstellen, „dass die Liebe immer hinter ihnen, niemals vor ihnen liegt“, liegt heute offen da, im Diskurs, im Gegendiskurs, der hier von Pollesch zum wiederholten Mal auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wird, ohne dass am Ende irgendeine Prämisse oder ein Statement herauskommt: Diskurstheater as usual am Freitagabend in Mitte – nach dem Erfolg von „Kill Your Darlings“ immer noch gut lustig, aber nicht mehr so treffend durchgearbeitet, Diskurstheater auf die dialektische Tour, monologisch, sozusagen.
Das geht ungefähr so: Don Juan stellt eine These auf, der kleine Chor wiederholt sie, dann wird mit Redundanzen gearbeitet; Don Juan raucht, ein weißer Eimer zum Abaschen wird ihm hinterhergetragen. Ein wirklicher Dialog kommt kaum zustande. Die These wird durch Wiederholungsschleifen geschickt; irgendwann folgt eine andere, vielleicht gar eine Antithese, mit der dann ebenso verfahren wird: Und dank metadramatischer Verweise (die Beleuchtung, die halben Kulissen, die Zitate), zündender Gags und Anleihen aus dem Boulevardtheater wird es dann doch eine amüsante, schön zwischen Tragik und Komödie oszillierende Angelegenheit, aus der man aber nicht viel schlauer herauskommt, als man hineingegangen war.
These und Antithese
Macht aber nichts, ums Verschwinden geht es ja eh in dem Stück, das mit der ständig übereinander herfallenden Besetzung beginnt und sich dann stark auf die Hauptfigur, Wuttke als Don Juan, konzentriert. Lilith Stangenberg, die große Augen machen kann, eine schön verschrobene Berliner Stimme hat und auf Riesenabsätzen perfekt durchs Bühnenbild stöckelt, spielt das weibliche Gegenüber Don Juans, eine echte Gegenkraft bildet sie aber nicht. Der Rest des Personals – darunter Jean Chaize, der zumindest sein Theaterschauspielercharisma mitbringt – bleibt leider oft blass. Die Souffleuse – das kennt man von Pollesch – steht stets direkt neben dem Geschehen und flüstert sehr viel ein. Und im Publikum sitzt Diedrich Diederichsen neben Max Raabe. Zufall oder nicht.
■ Volksbühne; nächste Termine am 22. 9., 5. 10., 14. 10. und 27. 10.
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