Europaministerin über den Brexit: „Wie soll diese Wunde je heilen“
Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé ist ernüchtert von einer London-Reise zurückgekehrt. Einen Plan B haben die Briten offenbar nicht.
taz: Frau Honé, glauben Sie beim Brexit noch an ein Wunder?
Birgit Honé: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich bin nach London gefahren und habe erwartet, dass ich zumindest zwischen den Zeilen Antworten auf die Frage bekomme, ob es vielleicht, wenn auch nicht öffentlich, einen Plan B gibt.
Und, gibt es?
Ich muss Ihnen sagen, ich bin bitter enttäuscht worden. Das, was wir in der Berichterstattung fast atemlos verfolgen, findet in der Tat genauso statt. Das hat sich in London gezeigt. Die eigentliche Dramatik ist aber, wie zerrissen das Land ist. Großbritannien erlebt seit Jahren eine Polarisierung – auf unverantwortliche Weise, populistisch und mit Fake News befeuert. Der Riss geht durch die gesamte Gesellschaft, sogar durch Familien. Ich weiß nicht, wie diese Wunde einmal heilen soll. Und dann erlebt man vor Ort eine Politik, die erst mal die Parteiinteressen vor Augen hat und dann erst die Interessen des Landes.
Die Labour Party hat ein zweites Referendum ins Gespräch gebracht. Ist das eine realistische Option?
Man muss sich mal die Zeitschiene anschauen. So ein Vorschlag hätte vielleicht Sinn gemacht, wenn er vor Monaten gekommen wäre. Ein Referendum benötigt Vorbereitungszeit. Was der Labour-Chef jetzt macht, ist eher ein Versuch, auf den letzten Metern noch zu retten, was zu retten ist – in seiner Partei.
Birgit Honé, 58, SPD, ist niedersächsische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und regionale Entwicklung. Die Verwaltungsjuristin ist in Bad Bramstedt geboren und lebt in Sehnde. Sie ist seit 35 Jahren SPD-Mitglied.
Was ist ein realistisches Szenario?
Ich glaube, es gibt drei Alternativen: einen Deal mit einem geregelten Ausstieg, einen harten Brexit ohne Deal oder eine Fristverlängerung.
Warum sollte die EU Großbritannien noch mehr Zeit geben, wenn die gar keinen Plan dafür haben?
Die EU-27 wollen sich nicht vorwerfen lassen, nicht alles versucht zu haben. Wozu aber der Aufschub dienen soll, fragt man sich in der Tat. Die Strategie von Premierministerin May, den Druck auf die Hardliner noch einmal zu erhöhen, ist bislang nicht aufgegangen. Und für diejenigen, die auf ein zweites Referendum hoffen, wird die Frist nicht ausreichen, denn sie ist durch die Europawahl begrenzt, die in Deutschland am 26. Mai stattfindet.
Was würde ein harter Brexit für Niedersachsen bedeuten?
Für Niedersachsen war Großbritannien der zweitwichtigste Handelspartner. Die Unternehmen orientieren sich aber schon anders. Inzwischen hat sich Frankreich auf den zweiten Platz geschoben. Gerade unsere mittelständischen Unternehmen wären trotzdem von einem harten Brexit betroffen.
Wären Arbeitsplätze in Gefahr?
Das können wir zurzeit nicht sagen, weil wir nicht wissen, wie die Folgen sein werden und wie weit die Unternehmen umgesteuert haben. Wir haben ihnen seit Monaten geraten, sich auf einen harten Brexit vorzubereiten.
Will Niedersachsen Unternehmen finanziell helfen?
Unsere Fischer wären massiv durch einen harten Brexit betroffen. Sie dürften innerhalb der britischen 200-Seemeilen-Zone nicht mehr fischen. Die EU-Kommission hat erklärt, dass für diesen Fall Mittel aus dem Fischereifonds zur Verfügung gestellt würden. Dann wäre Niedersachsen auch an der Co-Finanzierung beteiligt. Für alle anderen Bereiche warten wir erst einmal ab, wie es weitergeht.
Was bedeutet Ihnen Europa?
Für mich ist Europa eine ganz tolle Chance. Für junge Menschen, um sich weiterzubilden. Wirtschaftspolitisch können wir nur mit Europa in dieser globalisierten Welt bestehen. Es gibt für mich keine Alternative. Wir müssen diese Skepsis überwinden und zusehen, dass die Europa-Skeptiker keine Mehrheit im EU-Parlament bekommen.
Waren Sie nach dem Referendum wütend?
Es gab zwei konkrete Momente in meinem Leben, wo ich abends ins Bett gegangen bin und mich am Morgen in einem Albtraum befunden habe: Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und das Ergebnis des Referendums. Ich habe mir das nicht vorstellen mögen.
Ist es falsch, Bürger*innen über Fragen wie die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen?
Ich glaube, dass die Komplexität von Politik dazu führt, dass man nicht einfache Ja-oder-Nein-Fragen stellen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die für den Brexit gestimmt haben, wussten, was da alles dran hängt. Solche Fragestellungen müssen von einem demokratisch legitimierten Parlament entschieden werden. Volksbefragungen können Tendenzen aufzeigen.
Wie war bei Ihrem Besuch die Stimmung unter den in Großbritannien lebenden Niedersachsen?
Bei vielen herrschte hoher Frust. Sie fühlen sich wie Menschen zweiter Klasse. Sie leben seit Jahrzehnten dort und plötzlich gehören sie nicht mehr dazu.
Geht es den Briten hier ähnlich?
Ich glaube schon. Bislang war es ja völlig unwichtig, welchen Pass man hatte. Durch die Brexit-Entscheidung hat sich für die Britinnen und Briten bei uns alles verändert. Jetzt müssen sie sich die Frage stellen, wie ist es eigentlich mit meinen Pensionszahlungen, der Krankenversicherung, der Arbeitserlaubnis? Wir haben eine Brexit-Hotline eingerichtet, um zu beraten.
Nervt es Sie, dass Sie gerade nur als Brexit-Ministerin gesehen werden?
Nein, mich nervt der Brexit. Das hätte die britische Regierung ihren Bürgern nicht antun sollen und auch für die EU ist es schwierig, wenn sie ein so wichtiges Land verliert. Aber dass wir hier in Niedersachsen so gut auf den Brexit vorbereitet sind, liegt auch daran, dass es mit mir als Ministerin jemanden im Kabinett gibt, die darauf immer wieder hinweisen kann.
Was machen Sie sonst so?
Meine Arbeit besteht darin, Europa, den Bund und die Region zu vernetzen. Ein Beispiel: Laut EU-Verordnung müssen Fischer ihren Beifang mit an Land bringen, damit die kleinen Fische auf die Fangquoten angerechnet werden. Aus Gründen der nachhaltigen Fischerei ist das nachvollziehbar. Für die Krabbenfischer an unserer Küste hätte das aber das Aus bedeutet, weil es die Arbeitsabläufe an Bord auf den Kopf gestellt hätte. Sie werfen ihren Beifang sofort lebend zurück ins Meer – mit einer Überlebensquote bis zu 80 Prozent. Ich bin mit Krabbenfischern nach Brüssel gefahren, wir sind mit Kommissionsvertretern auf Krabbenfang gefahren und haben die Kommission überzeugt, dass eine Ausnahmegenehmigung sinnvoll ist.
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