berliner szenen
: Ich weiß, Sie waren
zu siebt

Gestern. Ein großes Berliner Krankenhaus, Rettungsstelle, Samstagnacht. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Wenn in dreißig Jahren das Rentensystem zusammenbricht, ist das meine Schuld, denn ich habe heute schon 15-mal die Pille danach verschrieben. Waren die alle auf derselben Party? Oder wird „Pille danach in der Rettungsstelle holen“ im Reiseführer jetzt unter „not to be missed when in Berlin“ geführt? Wahrscheinlich gibt es einen Shuttle vom Sisyphos direkt zu uns. Aber wissen die nicht, dass es die Pille danach auch in der Apotheke gibt? „Doch“, erklärt mir eine der Frauen, „aber da muss man so viele Fragen beantworten.“ Fair enough.

Ich frage gar nichts. Denn ich will nicht wissen, wie andere ihren Samstagabend verbringen. Nicht mehr zumindest. Anfangs hielt ich mich noch ans Protokoll: „Bitte erzählen Sie kurz, was passiert ist“, fragte ich, und dann ging es los: „Ich erinnere mich kaum. Es war soo heiß, keine Ahnung, welches seiner Körperteile in mir war!“ Wussten Sie auch schon mal nicht, wo oben und unten ist?“ – „Oh mein Gott! Wir waren zu viert, und ich will einfach nur auf Nummer sicher gehen!“ Purer Überlebenswille und Selbstschutz ließen mich schlauer werden. Jetzt kritzle ich meine Unterschrift unter das Rezept, bevor die jungen Menschen überhaupt ihren Mund öffnen. „Ich war auf einer Party“, beginnt die nächste junge Frau. Panisch zücke ich den Stift: „Hier, bitte, Ihre Pille, und nehmen Sie doch gleich ein Rezept für Ihre Freundinnen mit!“ – „Aber ich wollte doch nur …“ – „Ja, ja, ich weiß, Sie waren zu siebt und wollen nur sichergehen.“ – „Nein, ich wollte wirklich…“ – „Ich weiß, Sie wollten gar nicht in den Pool im Kit Kat Club.“ – „Jetzt hören Sie mal“, unterbricht mich die Frau ärgerlich, „was ist denn mit Ihnen los? Ich will nur meinen Freund abholen!“ Eva Mirasol