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Der Bräutigam trug nichts

Emotionen, Eklats, Eifersucht: In „Sábado – Das Hochzeitstape“, seinem Regiedebüt, filmt der chilenische Regisseur Matías Bize die Enttäuschung der Braut in Echtzeit

„Das Einzige, worum ich dich bitte: Lass die Kamera laufen. Egal, was passiert.“ Der Kameramann Gabriel (Gabriel Díaz) prüft nach: Kein Problem, im Akku ist noch Strom für 90 Minuten. So lange wird es nicht einmal brauchen, um die Zukunft von Blanca (Blanca Lewin) zu ruinieren, die gerade mit der Anprobe ihres Hochzeitskleides beschäftigt ist, als sie erfährt, dass ihr Zukünftiger Víctor (Víctor Montero) ein unverbesserlicher Frauenheld ist, der noch in der Nacht nach ihrer standesamtlichen Trauung mit seiner Exfreundin gevögelt hat, die jetzt vor der überraschten Beinahebraut im Zimmer steht und ihr den Schwangerschaftstest unter die Nase hält. In einer Stunde soll das Jawort in der Kirche gegeben werden. Die Gäste sind schon eingetroffen. Von diesem Tag hätte es ohnehin eines dieser Hochzeitstapes geben sollen, mit betrunkenen Gästen, Partystimmung und glücklich Vermählten, als Erinnerung an die wichtigste Entscheidung im Leben. So wird stattdessen ein gefilmter Rachefeldzug daraus, die Geschichte einer brutalen Enttäuschung, einer wachsenden Verzweiflung, einer ebenso komisch wie dramatisch vor Augen geführten Auflösung von Braut und Brautkleid.

Man müsste versuchen, diesen Film in einem einzigen Satz zusammenzufassen, was ebenso töricht wie angemessen wäre: Genau wie der mehr oder minder unfreiwillige Kameramann erlebt der Zuschauer die Handlung ohne einen einzigen Schnitt. Ein „Filmdrama in Echtzeit“ untertitelt Regisseur Matías Bize sein Erstlingswerk, das in seinen knapp 65 Minuten mehr Handlung komprimiert als manch doppelt so langer Film. Nichts wird vor dieser Kamera ausgespart, kein peinlicher Moment und keine Tränen. Dogma und Geständnis-TV lassen grüßen bei dieser dramaturgischen Idee, für die Bize populäre chilenische Schauspieler wie Blanca Lewin, Víctor Montero, Antonia Zegers und Diego Muñoz gewinnen konnte, die hier allesamt unter ihren echten Namen agieren. Die haben ihr Handwerk in eben den Telenovelas gelernt, deren Plots bekanntlich aus genau denselben Elementen (Emotionen, Eklats und Eifersucht) bestehen wie „Sábado“.

Die professionelle Erfahrung der Darsteller hat dem Vorhaben gut getan. Bei aller notwendigen Spontaneität und allem zugestandenen Raum für Improvisationen musste ein beachtliches Maß an Disziplin und Ausdauer in das Projekt investiert werden. Vier Monate sollen die Proben gedauert haben, ehe das Drama eines verpfuschten Hochzeitstages in den Kasten kommen durfte. Die Szene, in der der aus der Dusche gezerrte Víctor, mit nichts ausgerüstet als einem Handtuch, schalen Liebesschwüren und wackligen Erklärungen („Es ist wie beim Arbeiten am Computer. Man ist immer der einen Datei treu, dann einer anderen“) versucht, die zornentbrannte Blanca auf der Straße zur Umkehr zu bewegen, ist ein köstliches kleines Wunder an Timing und Zusammenspiel der Akteure. Ob sich tatsächlich zufällige Passanten über den splitternackten, flehenden Mann auf dem Gehsteig gewundert haben?

Der Voyeurismus, der die Braut in ihrer Kränkung antreibt, wird immer wieder Thema, und mehr als einmal riskiert der Kameramann, für seine bezahlte Hilfsbereitschaft verprügelt zu werden. Was Blanca mit den Videoaufnahmen wirklich möchte, wird nicht klar. Sie sagt, sie wolle einen Beweis für alles, was auf ihrer Irrfahrt durch die Stadt passieren wird, damit sie es sich immer wieder vor Augen führen kann und nie mehr vergisst. Doch erst als sie sagen kann: „Behalt das Tape. Ich brauch es nicht mehr“, wirkt sie endlich gelöst. Manchmal muss man die Dinge aufzeichnen, um sie um so gründlicher hinter sich lassen zu können. DIETMAR KAMMERER

„Sábado – Das Hochzeitstape“, Regie: Matías Bize, mit Blanca Lewin, Antonia Zegers u. a., Chile 2003, 65 Min.

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