Mein Onkel ist Medienfachmann

Die Karriere der fünfjährigen Jessica liegt fest in den Händen ihrer Familie: Auf einer selbst gebastelten Homepage wird sie als Model vermarktet. Schlimm genug, aber die Familie geht dabei auch noch dilettantisch vor

VON SOLVEIG WRIGHT

Das Märchen geht so: Heidi Klum aus Bergisch-Gladbach zieht aus in die große, weite Welt und wird einer ihrer größten Stars. Das Märchen ist zu schön, als dass nicht unzählige Gretels, Hänsels und Annemaries davon träumen würden, ebenfalls reich und schön zu sein. So schön, dass es unzählige Unterhaltungsformate nach sich gezogen hat: Popstars, Superstars, Starsearch etc., etc. Medienwirksam trimmten dort verschiedene Tanzlehrer, Komponisten und Stylisten singende Jugendliche nach den Bedürfnissen des Pop-Marktes. Bei den Monkees, der ersten Casting-Band der Welt, war dieser Prozess noch im Verborgenen abgelaufen. Heutzutage liegt der Formierungsprozess eines Stars offen, alles Sichtbeton und Stahlträger. Noch merkwürdiger und verschrobener arbeitet die Starmaschine nur im Internet, denn eine Webpage kann jeder basteln. Das geht mit Hilfsprogrammen ganz schnell. Heraus kommen dann Webpages wie www.modeljessica.de.

Soll sie doch Model werden

Jessica ist fünf und lässt sich gerne fotografieren. Ansonsten ist sie ein blondes Mädchen aus der Umgebung von Kassel. Und ihre Mutter und ihr Patenonkel fanden es eine gute Idee, dass sie Model wird. „Das Geld kommt auch nur ihr zugute. Zum Beispiel später für ihre Ausbildung“, erzählt der Patenonkel, Sven Posselt, der taz. Deswegen hat er die Internetseite aufgebaut. Mit ein paar Schnappschüssen aus dem Garten und den typischen Fehlern des Laien: Hintergründe zu bunt, zu viele verschiedene Schriften, Layout verwirrend. Die Seite („Ich trage ein T-Shirt oder Basecap mit deiner Werbung auf Veranstaltungen!“) sieht grässlich aus.

Gleich zu Beginn wurde Posselt Opfer seiner Naivität: Er verlinkte die Seite über einen Model-Ring. Die darauf vorgestellten Seiten sind aber erotischen bis pornografischen Inhalts – keine Umgebung, in der harmlose Kunden für ein Kindermodel gefunden werden können. Diesen Link zumindest hat der gute Onkel inzwischen herausgenommen. Er fühlt sich trotz der Anfangsschwierigkeiten für die Förderung eines Kindermodels ausreichend qualifiziert. Der Mann hat Verlagskaufmann gelernt und ein Studium der Kommunikationswirtschaft draufgesattelt. Er weiß, wie man Druckerzeugnisse vermarktet. Er beschreibt sich selbst als „Insider der Medienbranche“.

Von den etablierten Kindermodel-Agenturen habe man unabhängig bleiben wollen. Die würden sonst zu stark beeinflussen, wo und wann das Kind arbeiten solle. Die Kontrolle der Karriere soll laut Posselt alleine in den Händen der Eltern liegen. Der Mythos des demokratischen Internets hat also wenigstens einen Theoretiker auf dem Gewissen: Niklas Luhmann. Aber auch ohne die Kenntnisse seiner funktional-differenzierten Systemtheorie galt doch lange: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ Vorbei.

Bei der Agentur McCann-Erickson kommen regelmäßig E-Mails von hübschen Menschen an. „Die meinen dann, wir könnten doch mal mit ihnen werben“, erzählt Hannelore Brennemann, die für die Sichtung dieser Mails zuständig ist. Den Hoffnungsvollen entgeht zumeist, dass Werbeagenturen ihre Models bestellen können wollen, Experten anheuern, die wissen, welcher schöne oder weniger schöne Mensch eine Chance hat, den Anforderungen einer Kampagne gerecht zu werden beziehungsweise auch die Kenntnisse hat, sich vor der Kamera zu bewegen. Brennemann weist sie alle ab.

Warum auch sollte sich ein Werber mit einem Model auseinander setzen? Er hat die Zeit damit verbracht, zu lernen, wie man ein Produkt in Szene setzt. Er kann niemandem etwas darüber beibringen, wie man seinen Körper zu einem Produkt macht. Dafür sind die Modelagenturen zuständig. Genauso wie es für die Produktion eines Wurstbrots einen Metzger und einen Bäcker braucht. Nicht jeder kann alles. Jessicas Karriere kommt trotz des sorgenden Patenonkels nicht recht in Gang.

Ebay warf die Versteigerung von Jessica aus dem Programm. Besorgte Kunden hatten sich beschwert. Der Patenonkel hatte auf diese Weise nach Sponsoren suchen wollen, die ihre Angebote auf dem Weg der Internetauktion hätten unterbreiten können. Die Ebay-Sprecherin Maike Fuest begründet den Rausschmiss: „Schließlich kann Ebay nicht wirklich feststellen, wer da dahinter steht. Und selbst wenn wir gerne glauben, dass die Absichten in diesem Fall lauter waren, stellen wir den Schutz des Kindes an erste Stelle.“ Bei einem weniger bekannten Internet-Auktionshaus ist Jessica weiter im Angebot. Es gibt keine Bieter.

Auf Dauer ist das nichts

Stattdessen hat sich das Fernsehen gemeldet. Jessica wird in einem Boulevardmagazin gefeaturt. Der Vater der Kleinen wurde dadurch schon skeptisch, ob eine Modelkarriere wirklich das Wahre sei. Der Dreh war anstrengend, „und auf Dauer ist das nichts für ein Kind“, erklärt er. Da hat er wohl Recht. Zumal die Anstrengung auch bei anderen noch nicht viele Früchte abgeworfen hat. Daniel Küblböck oder Nadja von den No Angels füllen manchmal noch die Klatschspalten. Ansonsten weiß bestimmt niemand mehr, was aus „Elli“ geworden ist, die sich immerhin für einen Abend auch mal „Superstar“ nennen durfte. Die öffentliche Selbstausbeutung gebiert bislang keine Helden, sondern lediglich Freaks, selbst unter professioneller Anleitung.

Bevor man sich selbst ausbeuten kann, muss man in sich selbst investieren – also etwas lernen. Heidi Klum beschäftigt zwar ihren Vater als Manager, rät aber in ihrem Bestseller „Natürlich erfolgreich“, man solle sich mit einem professionellen Team umgeben, das einen beraten kann. Was ja auch nur ein anderer Ausdruck dafür ist, dass die Profis einem etwas beibringen können.

Wohlmeinende Verwandte können nur hilfreich sein, wenn sie selbst Experten sind. Deswegen wurde Drew Barrymoore, Erbin einer regelrechten Hollywood-Dynastie, ein Star. Der Vater von Venus und Serena Williams hat viel Zeit damit verbracht, seine Kenntnisse des Tennistrainings zu verbessern, damit seine Töchter zur Weltklasse avancieren konnten.

Für alle anderen Verwandten gilt: „Gut gemeint ist nicht gut gemacht.“ Die Hilfsprogramme, mit denen jeder Laie eine Internetseite aufbauen kann, sind schließlich auch von Informatikern gemacht, von Menschen, die sich wirklich damit auskennen.

Die wirklich großen Models wie Kate Moss und Naomi Campbell wurden übrigens alle ganz normal auf der Straße angesprochen, von Modelagenten.