Kurzkritik: Henning Bleyl über den Musikfest-Endspurt
: Orte, Ohren, Innovationen

Der MusikerInnen-Reigen ist grandios: Wenn am Samstag Marc Minkowskis Offenbach-Gala durch die Glocke rauscht, geben die letzten von insgesamt 810 KünstlerInnen ihr Bestes. Und das ist, bei der konstanten Qualität der vom Musikfest Eingeladenen, viel. Was die Brillanz der Bremer Spielort-Auswahl angeht, hat das Festival allerdings schon länger an Innovationskraft eingebüßt.

Zwar kreiert es neue spannende Konzerte im gesamten Nordwesten. In Bremen selbst aber kreist das Musikfest, anders als in früheren Festival-Phasen, um immer die selben Säle. Immerhin gab es jetzt ein „Galeriekonzert“: Zum ersten Mal seit seiner Gründung 1989 kooperiert das Musikfest wieder mit der Kunsthalle – was ohne den Wechsel in deren Direktion kaum möglich gewesen wäre. Zu groß war die Missgunst um Fördergelder.

Dabei ist der Licht durchflutete Cage-Raum unterm Museumsdach für Musik ideal. Wo sonst 36 Lautsprecher den „Essay On the Duty of Civil Disobedience“ wispern, Gavriel Lipkind mit einem Kanon des jungen Benedikt Schiefer für Cello und live electronics zu erleben, ist ein starkes Setting. Ebenso, einem zeitgenössischen Flöten-Consort im Niederländer-Saal zu lauschen.

Ob aber die Dauer-bespielte Glocke der ideale Ort für eine quicklebendige Crossover-Truppe wie „L’Arpeggiata“ ist? Nein. Das Ensemble spielt südamerikanische Volksmusik auf barocken Instrumenten: Kolonialgeschichtlich korrekt – und selbst „Bésame mucho“ klingt auf dem Zink zauberhaft. Der unvermeidliche Kitsch-Anteil kommt in der ehrwürdigen Konzerthaus-Atmosphäre allerdings über die Maßen zum Tragen. Auch die dortige elektronische Aussteuerung verstärkt die falschen Effekte: Zwar mag es Absicht sein, wenn man Ensemble-Matriarchin Christina Pluhar, die ihre aus herausragenden Solisten bestehende Truppe im Stil einer Madre Kelly regiert, mit besonders viel Ampère ausstattet. Doch die Ostinati ihrer riesigen Basslaute werden dadurch nicht interessanter. Das Musikfest braucht mehr Mut zu unplugged und neuen Orten.